Das Schöne ist der Glanz des Wahren

 ■ DDR-Fotografie der achtziger Jahre in Halle

Von Heinz Henemeister

Das Schöne ist der Glanz des Wahren“, eine stimmungsvolle Sentenz des dem Neuplatonismus nahestehenden Kirchenvater Augustinus (354 bis 430), soll kulturmüde Menschen in eine Ausstellung locken, die in Halle Tendenzen der DDR -Fotografie der achtziger Jahre vorstellt. Weitgefaßte Titelinserate, in diesem Fall prägnant, scheinen unumgänglich, denn wer beschäftigt sich momentan ernsthaft mit dem lästigen Verdrängungsthema DDR? Um den Phantomschmerz, begleitet von einem Anfall DDR -Sentimentalität, kann man sich ja immer noch kümmern.

Die Beiträge der über 50 Autoren verteilen sich auf die Galerie Roter Turm und auf die Galerie Marktschlößchen. Letztere zeigt die konzeptionellen und raumgreifenden Arbeiten. Beim Kreiseln durch die Ausstellung, die systematisch nach Medienreflexion, nach Live-Fotografie (life live; still life), nach sozialdokumentarischen Projekten sowie nach verschiedenen Inszeniermöglichkeiten gegliedert ist. Es fällt angenehm auf, daß keine übertriebene Auf- beziehungsweise selbstbemitleidende Abarbeitung der ach so geplagten Fotografiegeschichte der letzten zehn Jahre betrieben wird. Natürlich fließt, als ob sich nichts geändert hat, unterhalb des roten Elfenbeinturms auf dem Markt der spröden Arbeiterstadt wie immer das Kotz -sprotz-Leben, die sogenannte Scheiße, die von H.Müller, um sich selbst aufzurichten, in letzter Zeit gerne zitiert wird, so ganz nebenbei vorbei. Im Turm DDR konkret, auf der Straße inzwischen DDR so herrlich unkonkret.

Der engagierte Rückblick ist in Zusammenarbeit der Staatlichen Galerie Moritzburg Halle und dem Zentrum für Kunstausstellungen der DDR unter der ideelen Führung von T.O. Immisch, dem Leiter der Sammlung Fotografie der Galerie Moritzburg, entstanden.

Gleich am Anfang stößt man am Marktplatz, in der Nähe der Eingangstreppe des Turms, auf die begehbare camera obscura von Martin Claus und Klaus Storde. Dem Neugierigen bleibt beim Betreten dieser Vorform des Fotoapparates nicht verborgen, was im sonst verschlossenen Fotokasten optisch passiert. Im Ausstellungsbereich angelangt, trifft man gleich auf die Bildvarianten von Kurt Buchwald. Er betreibt eine Art Metafotografie. Das heißt, daß die Fotografie die Fotografie mit ihren Medieneigenschaften erforscht. Als Ergebnis entsteht eine eigene, zweite Bildrealität.

Natürlich sind viele FotografInnen vertreten, die schon längere Zeit zum Standard der DDR-Fotografie gehören. Die Palette reicht unter anderem von Evelyn Richter, Helga Paris, Ute und Werner Mahler bis zu Ulrich Wüst, Manfred Paul und dem Fotografiker Ullrich Lindner. Evelyn Richter beteiligt sich mit dem Langzeitprojekt Ausstellungsbesucher, Christian Borchert mit sozial weitgefächerten Familienbildern. Unerbittlich und bis zur Schmerzgrenze freigelegt, beschäftigt sich Gundula Schulze in der Tamerlanserie mit dem Altwerden. Hier wird - neben dem Fotoprojekt Körperbehindert von Karin Wieckhorst das von der Öffentlichkeit bis dahin verdrängte Thema der menschlichen Gebrechen mitleidlos, aber mit rätselhafter Schönheit allzeit ins Bewußtsein gerückt.

Die meisten der vorgestellten FotografInnen vertrauten auf die wahrhaft bezeugende Kraft des eingesetzten Mediums. Beispiele, die die Fotografie als solche befragen beziehungsweise sie für die Darstellung innerer Zustände gebrauchen, obwohl dieser Entwicklungsstrang für die achtziger Jahre wichtig ist, sind rar gesät.

Deshalb lebt und stirbt diese Ausstellung auch mit Verlustmeldungen. Unsichtbar, weil nicht ausgestellt, vom Ausstellungsmacher leider unberücksichtigt, sind unter anderem die Arbeiten von den Mitte der Sechziger Ausgereisten Klaus Elle und Thomas Florschuetz. Beide, wie auch folgende, gehören zu einer differenzierten Strömung, die bei der Suche nach Eigenbewegung, in einer stillen oder offenen ambivalenten Bezogenheit aufeinander, im Tiefgang der alltäglichen Machtgewohnheiten, auch in unabhängigen Mappenwerken und Zeitschrifteneditionen sowie losen Gruppenaustellungen, die eigene Wichtigkeit ohne Zwang spüren wollten.

Trotz aller Experimentierfreude gibt es eigentümlicherweise im wahren Glanz des Schönen wenig zu lachen. Die scheinbar unzerstörbare deutsche Mentalität durch Ernsthaftigkeit noch ernster genommen zu werden, schlägt sich selbst auf die in den achtziger Jahren dominierende Aufbruchstimmung der Autodidakten nieder. Vielleicht haben die frühen Arbeiten von Jörg Knöfel oder die Lichtinszenierungen (Lichtspuren) von Claus Bach etwas von der selten unverkrampften Leichtigkeit, die aus eben jener Richtung zu erwarten gewesen wäre. Aber diesen Luxus leisteten sich nur wenige Fotografen und Fotografinnen, obwohl sich, wie auch in anderen Kunstbereichen, in den achtziger Jahren rumgesprochen hat, daß die Kategorie Qualität unter anderem als ein mieser, sich Privilegien zuspielender Ausgrenzungsbegriff mißbraucht wurde. Wer sich nicht sonderlich darum kümmerte, war offen für neue Impulse und Entdeckungen. Vielleicht typisch, greifen viele Fotos trotzdem ihren Aufnahmegegenstand mit einer rücksichtsvollen Behutsamkeit auf. Ähnlich verhielt sich zum Teil auch die etwas ab-gestandene Kritikerriege, die ausgehend von einem wohlwollenden, aber oft unverbindlichen, auf der Weide dösenden Humanismus, das zarte Pflänzchen Fotografie mit unterschiedlichem Erfolg begleitet hat.

Im Auf und Ab der kritischen Auseinandersetzungen erneuerte sich die Polemik immer penetranter gegen die Tabuverwalter der Öffentlichkeit. So versuchen Jens Rötzsch und Perter Oehlmann, wie auch andere, genau in die intimen Sphären des Schaufensters der Macht einzublicken, die jämmerlich leeren Rituale surreal zu hypertrophieren, sie durch ihre Lächerlichkeit zu entschärfen, oder sie durch das Medium zu verkunsten.

Micha Brendel ist vertreten mit Fotos aus der bekannten Reihe Lustschutz. Sein Hang, mit den Eigeweiden zu spüren, ließ die Haare zur Gänsehaut hochstehen. Inzwischen zum museal kastrierten Klassiker entwickelt, tut es jetzt nicht mehr so weh. Dauerhaft schmerzt doch eher Naivität und Kindgläubigkeit in Anbetracht einer sich verhärtenden Mitwelt.

Die Bilder der jetzt in West-Berlin lebenden Tina Bara mit ihrer in sich gekehrten, weichen Sinnlichkeit, die nur die Menschen teilhaben läßt, die beim Anschauen leise anfangen mitzuschwingen, gebären den Verlust und Gewinn der Lustmöglichkeit geliebter Wesen. Überrascht hat Michael Scheffer, weil er mit einem neugewonnenen Gefühl für das Format das Foto als Objekt begreift, in dem er die sonst großformatigen Bilder der Serie Die Stadt (1986 bis 1989) verkleinert, mit viel Weiß umrandet, auf Glas klebt und sie wie flache Platten behandelt.

Eine andere optische Note setzt Florian Merkel mit kolorierten fotorealistischen Sketchen. Verderblich süß treten sich die Bildgegenstände mit einer unbekannten Seriösität rücksichtslos in die Hacken. An anderer Stelle, bei Sven Marquardt, ist der Drang nach neuen Repräsentationsformen zu spüren, der sich in den achtziger Jahren verstärkt hat. Keineswegs ironisch gemeint, passen viele seiner Bilder auch in anspruchsvolle Hochglanzmagazine. Es bleibt abzuwarten, wie lange sich der in der DDR stark ausgeprägte Originalcharakter der Fotografie halten kann. Sie besitzt aber von ihrer Ausgangsposition gesehen ästhetische Kräfte, die sich bis vor kurzem, beinahe asketisch, den verschleißenden Verwertungsstrategien einer tittenfräßigen Pseudoerotik der Instant-Trockenfotos in Illustrierten entziehen konnte.

Andere Sorgen machte sich die Gruppe um Matthias Leupold. Mitte der achtziger Jahre auch ins deutsche Ausland gegangen, setzt sie auf ein gedolchtes Sendungsbewußtsein, getragen von der alles überwindenden Inszenierung der Prophetie, mit der die gesellschaftliche Kleinkackerei, das vorenthaltene Jetzt, auf ein bedeutungsvolles Heute gegerbt wird. Die gruppentänzerischen „poetischen Träumer“ halten sich mit der gläubigen Ode an die Kraft der zutiefst moralischen Ironie einen Platz frei in der Weltgeschichte. Also „nach uns die Zukunft“.

Am Ende in der Galerie Marktschlößchen angelangt, stellt sich in der Umgebung von Kurt Buchwalds antiteutonischen Eskapaden oder beim Betrachten der Rauminstallation Letzter Akt von Ernst Goldberg doch nur heraus, daß derzeit die bitterschrägsten Berufsperformer die Bauern sind, die, um auf ihre Notsituation aufmerksam zu machen, literweise Milch aufs Straßenpflaster verschütten. Nur J.Knöfels ausgestellte Schlachthausinstallation besitzt die Ahnung von ihren Zwängen.

Die Ausstellung wird in der Galerie Roter Turm Halle bis zum 7.Oktober und in der Galerie Marktschlößchen bis zum 16.September gezeigt. Ein Katalag erscheint noch. Öffnungszeiten: Di bis So: von 10 bis 13 und von 14 bis 18 Uhr.