Deutsch-polnischer Einkaufstourismus

■ DDR-Bürger müssen sparen / Bier aus West-Berlin auf polnischen Flohmärkten billiger als in Ost-Berlin

Aus Warschau Klaus Bachmann

Vor einem Jahr war es noch umgekehrt, da hingen große Schilder in den Läden in Ost-Berlin: „Kein Verkauf an Polen“, und an den Grenzen konfrontierten die Zöllner polnische Touristen mit jeder überzähligen Bierdose. Die Zeiten haben sich geändert - jetzt sind es die DDR-Bürger, die zum Wochenendeinkauf nach Polen fahren und auf dem Stettiner Flohmarkt eifrig Handel treiben. Doch Abneigung schlägt ihnen kaum entgegen. Die ökonomische Lage hat sich einigermaßen geändert.

Vor einem Jahr waren die meisten Preise in Polen schon freigegeben, in der DDR aber noch subventioniert. Jetzt sind sie hier und da frei, aber an den Steuerdifferenzen und lokalen Preisunterschieden läßt sich immer noch verdienen und sparen. Doch anders als noch vor einem Jahr kauft niemand dem anderen etwas weg - Polens Bauern sind froh, wenn die Nachbarn aus dem Westen die Lebensmittelläden stürmen, denn seitdem die Preisfreigabe für rückgehende Nachfrage gesorgt hat, müssen die Bauern befürchten, auf ihren Produkten sitzenzubleiben. Ähnlich sieht es auch in anderen Branchen aus. Die DDR-Bürger dagegen verfügen seit der Währungsunion über Einkommen in begehrten Devisen, die noch dazu im Durchschnitt sechs mal höher sind als die der Polen. Das Realeinkommen der Polen ist seit Anfang des Jahres um 30 Prozent gesunken, die Arbeitslosenquote steigt.

Doch nicht nur der relative Wohlstand der Nachbarn im Westen ist es, der gelegentlich den Neid der Stettiner und Görlitzer erweckt: DDR-Bürger dürfen nach wie vor unbürokratisch nur mit dem Personalausweis nach Polen einreisen, während die Polen für die DDR eine beglaubigte Einladung brauchen - eine Hinterlassenschaft des Honecker -Regimes, das das Abkommen über visafreien Reiseverkehr einseitig aufgekündigt hatte. Polen war dem Schritt nie gefolgt. So bleibt den Polen jetzt nur noch eins übrig: beim Grenzübertritt anzugeben, sie wollten nach West-Berlin. Mit der Währungsunion ist nämlich für die Polen eine paradoxe Lage entstanden: Streng nach den Vorschriften brauchen sie für die Bundesrepublik weiterhin ein Visum, auf das sie wochenlang warten müssen. Zugleich sind aber alle Kontrollen zwischen der Bundesrepublik und der DDR entfallen. Nach West -Berlin dagegen ist der Weg noch frei - für Ost-Berlin dagegen braucht man eine Einladung. Also geben viele bei der Grenzkontrolle an, nach West-Berlin zu wollen, und fahren statt dessen zu Verwandten in die DDR. Kontrollierbar ist das nicht. Viele Polen, besonders jene, die Verwandte und Freunde nur wenige Meter hinter der nun auch noch kaum befestigten Grenze haben, fragen sich daher, welchen Sinn die Restriktionen noch haben. Zumal vor kurzem auch die Fotozellen von der Grenze verschwunden sind, die im letzten Jahr so vielen der nach Polen flüchtenden DDR-Bürger zum Verhängnis geworden waren. „Nur für die Bürokraten ist die Grenze noch nicht offen“, meint eine Bäuerin aus der Gegend um Stettin. Ihre Schwiegertochter kann jederzeit zu ihr kommen - nur umgekehrt geht's nicht. Besonders unangenehm ist dies in Städten, durch die die Grenze mittendurch geht, wie etwa Görlitz/Zgorzelec, wo die Zollkontrolle mitten im Ort stattfindet und viele Bewohner auch noch beide Sprachen beherrschen.

„Jetzt ist das mit den Deutschen hier so, wie das früher mit den Polen in Berlin war“, grinst ein Stettiner Journalist, „jetzt sieht man plötzlich biedere deutsche Hausfrauen, wie sie mit einer Reisetasche voll Brot und Bier die Grenze überqueren.“ Auf dem Stettiner Basar „Tuzin“ wechseln dagegen DMark und Zloty die Besitzer, getauscht und verkauft werden Haushaltsgeräte, Videos, Kleidung aus zweiter Hand. Daß manche der Westbesucher ihr neues Selbstbewußtsein gelegentlich etwas überlaut und arrogant demonstrieren, „Wir kommen wieder“ an die Hauswände schmieren und rechtsradikale Flugblätter verteilen, schätzen die Polen weniger. Daß die DDRler im Handeln noch etwas unerfahren sind und auch schonmal Bierdosen mit nach Hause nehmen, die polnische Händler zuvor aus West-Berlin eingeführt haben, macht die Sache schon amüsanter.