Flüchtlinge zwischen Ost und West

■ Katrin Reemtsma von der „Gesellschaft für bedrohte Völker“ über Roma-Flüchtlinge aus Osteuropa

INTERVIEW

taz: In der Presse ist von 12.000 Roma die Rede, die in diesem Jahr in der Bundesrepublik und West-Berlin bereits Asyl beantragt hätten.

Katrin Reemtsma: Ob da genau zwischen Rumänen und rumänischen Roma unterschieden wird, weiß ich nicht. Für Berlin wird eine Zahl von 6.000 Rumänen angegeben, die Asyl beantragt haben, wovon etwa 80 Prozent Roma sein sollen. In der Öffentlichkeit wird nun das Bild verbreitet, alle hier einreisenden Roma würden Asyl beantragen, was einfach nicht stimmt. Es sind sehr viele Roma in der Bundesrepublik, die das Asylrecht nicht in Anspruch nehmen. Generell muß auch betont werden, daß die Mehrheit der Roma nicht aus ihren Ländern abwandert, sondern dort bleibt.

Was erwarten die Leute hier?

Das ist sehr unterschiedlich. Es gibt Leute, die aufgrund der Situation hier bleiben wollen; viele Roma wollen allerdings nur eine bestimmte Zeit hier bleiben, einige wollen illegal arbeiten und dann wieder nach Rumänien zurück.

Wie sieht die aktuelle Lage der Roma in Rumänien aus?

Seit Januar hat sich in Rumänien ein starker Nationalismus herausgebildet, dessen eine Variante sich sehr zielgerichtet gegen die Roma wendet. Es herrscht in Rumänien eine sehr aggressive Stimmung gegen die Roma. In allen Tageszeitungen finden sich negative Anspielungen auf die Roma, auf ihre Hautfarbe, auf vermeintlichen Schwarzhandel. Ihnen wird die Sündenbockrolle zum Beispiel für fehlende Versorgung mit Nahrungsmitteln zugewiesen. Dazu sollte man wissen, daß die rumänische Regierung bereits wieder Lebensmittel in die Sowjetunion exportiert. In den letzten Monaten ist es zu Übergriffen gegen Roma gekommen, zum Beispiel in Tigru Mures. Als es dort zu Konflikten zwischen der ungarischen Minderheit und Rumänen kam, haben die ungarisch sprechenden Roma zwar nur eine marginale Rolle gespielt. Trotzdem waren sie die einzigen, die kurz darauf im Schnellverfahren wegen ihrer Teilnahme an den Auseinandersetzungen verurteilt worden sind. Dabei kam das Dekret 153 zur Anwendung, das noch aus der Zeit Ceaucescus stammt und zum Beispiel besagt, daß keine anwaltliche Vertretung bei den Prozessen zulässig ist. Die Roma waren also einer Form der Sonderjustiz unterworfen. Zum zweiten sind die Bergarbeiter, die Mitte Juni auf dem Bukarester Universitätsplatz gegen die Oppositionellen eingesetzt wurden, mit Unterstützung der Polizei durch sechs Stadtviertel gezogen, in denen hauptsächlich Roma wohnen und haben dort Jagd auf Männer, Frauen und Kinder gemacht. Sie sind in die Häuser eingedrungen, haben dort Frauen vergewaltigt - ein Vorgehen, das von den Behörden gedeckt wurde. Politiker haben diese pogromartigen Übergriffe dann sogar noch gerechtfertigt. Diese Allianz aus Kreisen der Bevölkerung, der Polizei und auch von Politikern ist besorgniserregend.

Nach Deutschland flüchten nicht nur rumänische, sondern auch jugoslawische Roma. Wie sieht die Situation in Jugoslawien aus?

Jugoslawien ist bekanntermaßen am auseinanderbrechen. Im Kosovo herrscht seit Jahren eine Bürgerkriegssituation. Roma werden nicht nur hier in den ethnischen Konflikten zwischen Albanern und Serben aufgerieben. In Prizstina ist 1989 ein Roma-Mädchen auf offener Straße mit Benzin übergossen und verbrannt worden. Bei den Wahlen in Slowenien im Frühjahr 1990 wurde den Roma zum Teil die Teilnahme an den Wahlen verweigert.

„Affirmative Action“

für die Roma

Fluchtursachen bekämpfen, lautet eine immer wieder gestellte Forderung von Menschenrechtsorganisationen. Welche realen Möglichkeiten gibt es, in der Frage der Roma auf die rumänische Regierung Einfluß zu nehmen?

Das Auswärtige Amt hat sich bislang darauf beschränkt, die rumänische Regierung zu hofieren. Sie hat während der Ceaucescu-Zeit die kolektive Rückführung aller Roma -Flüchtlinge betrieben. Entsprechend zurückhaltend sind auch die aktuellen Bemühungen. Zudem ist es nicht damit getan, der Regierung in Bukarest zu erklären: Nun achtet mal auf Eure Minderheiten. Dazu ist die Situation dort viel zu verfahren. Im Grunde müßten von seiten Bonns, in Absprache mit der rumänischen Regierung und den Roma-Organisationen, Wege gefunden werden, die so etwas wie eine affirmative action einleiten. Die Roma sind seit vierzig Jahren mit systematischer Benachteiligung konfrontiert und mit einer absichtlich fehlgeleiteten Minderheitenpolitik.

Im Zusammenhang mit den Roma-Flüchtlingen ist von seiten westdeutscher Behörden von einer neuen „Armutswanderung“ gesprochen worden...

Die Argumentation, wonach Roma einfach Wirtschaftsflüchtlinge sind, hat sich allgemein eingebürgert. Ich halte das für eine Fehleinschätzung. Armut ist ein Grund, reicht als Erklärung aber bei weitem nicht aus, wenn man an die pogromartigen Übergriffe der letzten Monate in Rumänien denkt. Die Menschen haben einfach Angst, weil nationaler Chauvinismus jederzeit in Gewalt gegen ihre Gruppe umschlagen kann.

Faktisch sind Roma-Flüchtlinge in westdeutschen Städten, aber auch in beiden Teilen Berlins, eine neue Kategorie von Elendsflüchtlingen, vor denen die sozialen Institutionen offensichtlich kapitulieren, wenn man sich allein die Unterbringung dieser Flüchtlinge ansieht...

Zunächst einmal ist da eine übergreifende Abwehrreaktion auf Roma, sowohl auf der Ebene sozialer Versorgung als auch in der Frage des aufenthaltsrechtlichen Status. Da werden zum Beispiel ausländerrechtliche Regelungen bei Roma einfach außer Kraft gesetzt, indem ihre Asylanträge nicht mehr angenommen werden. Was die soziale Versorgung betrifft, werden viele Probleme von seiten der Behörden hochgezüchtet. Wenn man sich den Fall Lebach (Aufnahmelager für Flüchtlinge im Saarland, d.Red.) ansieht, dann waren die Roma die einzigen Flüchtlinge, die nicht weiter verteilt wurden. 1.500 Roma in einem kleinen Städchen - das muß unweigerlich zu Konflikten führen. Das ist nicht die Schuld der Roma, sondern der Behörden, die damit nicht adäquat umgegangen sind. Man muß ganz allgemein sehen, daß das Problem kein nationales mehr ist, sondern ein europäisches. Und da herrscht offenbar ein internationaler Konsens, diesen Menschen keine besondere Aufmerksamkeit beizumessen. Es hat auf jeden Fall überhaupt keinen Sinn, diese Menschen durch eine permanente Abschiebungspolitik weiter zu entwurzeln. Da werden immer mehr heimatlose Menschen geschaffen.

Gibt es eine Grenze der Aufnahmekapazität für ein Land wie die Bundesrepublik?

Es gibt eine Grenze. Aber das Geschrei, das jetzt gemacht wird, ist einfach unverhältnismäßig. Wenn man sich ansieht, daß 800.000 Deutsche aus dem ehemaligen Ostblock aufgenommen worden sind, dann nehmen sich 12.000 Roma relativ klein aus

-wenn man zudem bedenkt, daß viele von ihnen auch zurückgehen wollen.

Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Wilfried Penner, hat das „Verhalten der Roma und Sinti“ in der Öffentlichkeit moniert, und dabei vermutlich das Betteln gemeint...

Um das klarzustellen: Es geht hier nicht um die Sinti, sondern nur um die Roma. Zweitens betteln ja nicht alle Roma. Drittens muß man das Betteln im Kontext sehen. In unserer Wohlstandgesellschaft ist Betteln eine relativ seltene Erscheinung, in Südosteuropa ist es eine tägliche Erscheinung. Frauen mit Kindern, die Betteln, erwecken hier natürlich bei unseren bürgerlichen Standards den Eindruck der Kindesmißhandlung. Bei den Roma werden die Kinder sehr früh in das Erwerbsleben der Erwachsenen miteinbezogen. Für sie ist das also etwas relativ Normales. Ob und wann es dabei zu Kindesmißhandlungen kommt, muß genau überprüft werden. Hier prallen dann natürlich die Normalitätsvorstellungen eines Wohlstandsbürgers mit krasser Armut aufeinander.

Gespräch: Andrea Böhm