: Rabatz in den amerikanischen Redwoods
■ UmweltschützerInnen wollen die letzten heimischen Urwälder retten / Ein Kauz ist beim Kampf gegen die Industrie dabei
Aus den Wäldern S. Sanides
„Where are you gonna work, when all the trees are gone?“ schallt es aus den Radios in Nordkalifornien. Das Lied erklingt in den Redwood-, den Sequoia-Wäldern, und sorgt für Stimmung auf Protestkundgebungen. Komponist des Ohrwurms ist nicht ein bekannter Popmusiker, sondern „Earth First!„ -Aktivist Darryl Cherney. Die radikale Öko-Organisation hat dieses Jahr zum „Redwood Summer“ aufgerufen. Einen Sommer lang protestieren die UmweltschützerInnen mit Demos, Wald und Baumbesetzungen und Aktionen zivilen Ungehorsams gegen die Zerstörung der Urwälder.
Die letzten dieser Mammutbaumbestände stehen in Oregon und Kalifornien, auf einem schmalen, 800 Kilometer langen Küstenstreifen des Pazifiks. Während die UmweltfreundInnen den Schutz der Urwälder und strenge Umweltrichtlinien für die Nutzung der wiederaufgeforsteten Gebiete fordern, erfreut sich die Holzindustrie einer hohen Nachfrage, besonders aus dem Ausland. Gerade in den letzten zehn Jahren ist sie den Redwoods immer rasanter mit der Motorsäge zu Leibe gerückt.
Die staatlichen Forstämter walten ihres Amtes, indem sie bundeseigene Waldbestände zu großzügigen Bedingungen und auf Steuerzahlerkosten zwecks Abholzung an die Holzindustrie verpachten. Die Bevölkerung weiß von all dem nichts. Eine Umfrage ergab, daß die meisten glauben, alle bundeseigenen Wälder stünden unter Naturschutz. „Diese Illusion wollen wir den Leuten austreiben“, erklärt Stephe vom „Earth First!„ -Büro in Ukiah. Er steht vor den Plakaten des kalifornischen Forstamts im „Jackson State Demonstration Forest“. Dort will die Behörde dem Besucher zeigen, wie „natürlich“ in den Wäldern geholzt wird. „Ein Kahlschlag“, heißt es da, „imitiert ein natürliches Szenario - einen Waldbrand oder starken Schädlingsbefall“.
Bei soviel „Natürlichkeit“ gingen die „Earth First!„ler die Bäume hoch. Als Darryl Cherney im letzten Jahr eine Woche lang im Wipfel eines zum Abholzen bestimmten Baum verbrachte, wurde die Bedrohung der Wälder weithin bekannt. Für den heißen Redwood-Sommer hat „Earth First!“ sich eine neue Aufgabe gestellt. Die AktivistInnen verlassen die Wälder und gehen zu den Holzfällern in die Städte. „Die Wälder und die Holzarbeiter werden gleichermaßen von den Industriellen ausgebeutet“, erklärte „Earth First!„-Mitglied und Gewerkschaftsaktivistin Judi Bari die neue Strategie. Bari ist maßgeblich dafür verantwortlich, daß die Aktionen gänzlich gewaltfrei verlaufen. Sogar auf Sabotageakte, für die „Earth First!“ sonst bekannt ist, wird verzichtet.
Gewalt üben jedoch andere aus. Ende Mai wurden Bari und Cherney bei einem Bombenattentat verletzt. Anstatt nach den wahren Tätern zu fahnden, bezichtigte das FBI die beiden, die Bombe selbst in ihrem Auto transportiert und versehentlich gezündet zu haben. Erst im Juli wurden die Anklagen wegen „mangelnder Beweise“ zurückgezogen. „Andere Verdächtige“, so das FBI, „gibt es nicht.“ Deshalb demonstrierten die „Redwood Summer„-Frauen letzte Woche in Kalifornien und Oregon gegen das lasche Vorgehen des FBI. „45 Todesdrohungen hat Bari seit Beginn von 'Redwood Summer‘ erhalten“, sagt Kollegin Mickey Dulas, „doch die Polizei kümmert sich nicht darum.“ Selbst Candace Boak, sonst erbitterte Feindin der Redwood-SchützerInnen, gibt zu: „Mit Judi kann man über die Sachen reden.“ Boak und ihr Ehemann besitzen eine kleine Holzfabrik, und sie bangen um ihre Zukunft. Sie und andere Frauen haben „Mothers Watch“ gegründet, eine Organisation von Frauen, die die Anliegen der Holzfäller in Flugblättern und auf Kundgebungen vertritt.
Die Holzindustrie bereitet den Nordkaliforniern schon seit den fünfziger Jahren Schwierigkeiten. Obwohl immer schneller abgeholzt wird, sinkt die Zahl der Arbeitsplätze kontinuierlich dank Automatisierung. Industrievertreter sorgen dafür, daß die Schuld daran den Umweltschützern in die Schuhe geschoben wird. Boak und andere von der Holzindustrie abhängige Arbeiter sind nicht ohne Grund pessimistisch. Das „Forests Forever„-Referendum, über das die KalifornierInnen im November - mit hoher Wahrscheinlichkeit positiv - abstimmen werden, wirft seine Schatten voraus. Es sieht den Aufkauf und Schutz noch bestehender Redwood-Urwälder vor und schränkt auch die Nutzung von Sekundärwäldern (Aufforstbestände) stark ein. Außerdem haben die Behörden in Washington im Juni den Fleckkauz auf die Liste der gefährdeten Arten aufgenommen. Das selten gewordene Käuzchen ist in den Urwäldern des Nordwestens beheimatet. Laut Artenschutzgesetz muß sein Lebensraum nun geschützt werden. Genaue Richtlinien dazu sollen im September bekanntgegeben werden.
Mittlerweile ist der Kauz unter den Holzfällern genauso unbeliebt wie die „Earth First!„ler. „Die Fronten hier sind hart“, gibt Mickey Dulas zu. Trotzdem ist sie bester Laune, weil es immer wieder zu „positiver Kommunikation“ zwischen Holzarbeitern und UmweltvertreterInnen kommt. Kürzlich habe man auf Wunsch der Arbeiter eine Protestkundgebung vor dem Holzkonzern „Pacific Lumber“ abgeblasen und zu einer Diskussionsveranstaltung umfunktioniert. Wenn Nordkalifornien in zwanzig oder dreißig Jahren auf einen immensen Kahlschlag zurückblickt, argumentierten UmweltvertreterInnen, dann ist „Pacific Lumber“ egal, was seinen Arbeitern passiert. Der Holzkonzern wird sich anderen Tätigkeiten zuwenden, und die Arbeiter sitzen auf der Straße.
Doch für den Übergang zu einer dezentralen, arbeitsintensiven und ökologischen Forstwirtschaft fehlt der Wille der Politik. Die Bush-Regierung hat bereits angekündigt, daß Washington für Umschulungen oder wirtschaftliche Umstrukturierungen infolge von Umweltschutzmaßnahmen nicht aufkommt. Deshalb klammern sich die Holzarbeiter an die letzten Bäume, und in den Redwoods stehen trotz aller „positiver Kommunikation“ die Zeichen auf Sturm. „Earth First!„ler und der Fleckkauz werden auf T -Shirts und Mauern gen Mond oder in die Bratpfanne verwünscht. Bleibt nur das gemeinsame Lied: „Where are we gonna work, when all the trees are gone?“
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