Kinosterben durch Video-Raubritter

■ In Indien blühen die illegalen Geschäfte mit Raubkopien / Nur zehn Prozent der Kassettengeschäfte laufen legal / Die Raubkopien stammen von „Filmpiraten“ in Hongkong und Singapur

Neu-Delhi (ips) - In Indien sind die Tage des Kinos gezählt. Mit dem Jahr 1985, als Indien mit über 900 Eigenproduktionen an die Spitze des internationalen Filmgeschäfts rückte, ist gleichzeitig das Ende der Branche angebrochen. Auf dem Subkontinent hat in den letzten Jahren eine breite Mittelschicht das Video zunehmend als billigeres und bequemeres Freizeitvergnügen als das Kino für sich entdeckt.

Seit dem Spitzenproduktionsjahr rollten in Indien rund 1.000 Kinos die Leinwand für immer hoch, ausbleibende BesucherInnen und steigende Betriebskosten machten das Geschäft unrentabel. 200.000 Video-Shops schossen aus dem Boden, die vor allem mit dem Verleih von Raubkopien Geld scheffeln.

Filmverleiher schätzen, daß nur zehn Prozent der Kassettengeschäfte auf legalem Boden abgewickelt werden. Mit den bestehenden Gesetzen sei den illegalen Filmkopierern nicht beizukommen.

Eine im letzten Jahr eingesetzte Kommission kam zu dem Ergebnis, daß die Regierung dem „Videogeschäft nur niedrige Priorität“ einräume und die Mühlen der Justiz zu langsam mahlten, um die Fälle, die überhaupt bekannt würden, zu behandeln. Die internationale Unterhaltungsindustrie wirft Indien vor, am weitesten die Copyright-Bestimmungen zu verletzen. Und der lokale Manager des Filmimperiums Warner Brothers klagt: „Es dauert Monate, die Zulassung für einen einzigen Streifen auf dem indischen Kinomarkt zu bekommen, und bis dahin ist der Film längst in Händen der illegalen Verleiher.“

Nur wenige Tage nach internationalen Premieren liegen die Filme bereits in den Regalen der indischen Video-Shops bereit. Hergestellt werden die Raubkopien in bester Qualität von „Filmpiraten“ in Hongkong und Singapur.

Vinod Nagpal ist Besitzer einer Video-Shop-Kette in Neu -Delhi. Er begann sein Geschäft mit einem Startkapital von umgerechnet 1.500 US-Dollar, inzwischen verdient er, großteils illegal, das Zehnfache monatlich. „Die Familien laufen nicht mehr in die Kinos, wenn sie es zu Hause viel gemütlicher haben“, erklärt er den neuen Trend.

Auf 300 Millionen Menschen wird die weltweit wohl größte Mittelschicht Indiens geschätzt, für die Geld kein Problem mehr ist. Während der kollektive Familienausflug ins Kino mit dem obligaten Eiskonsum in den Pausen für die meisten ein seltenes Vergnügen war, läßt sich Video den individuellen Bedürfnissen besser anpassen. Aber auch in ärmeren Schichten will man auf das Video-Vergnügen nicht verzichten: Freunde, Nachbarn oder Arbeitskollegen legen das Geld zusammen, um Abspielgeräte und Filme für einen Tag zu mieten. In abgelegenen Bergregionen halten kleine Video -Salons Vorführungen vor immer mehr Neugierigen ab, in Industriesiedlungen finden Video-Vorführungen in speziell dafür eingerichteten Hinterzimmern statt.

Auch in der Filmstadt „Bollywood“ machen sich die Produzenten allmählich Sorgen. 130 größere Hindi-Filme wurden letztes Jahr in Bombay uraufgeführt, nur drei spielen die in sie gesetzten Erwartungen ein. Die Vorführer beklagen, daß eine 60prozentige Vergnügungssteuer ihnen wenig finanziellen Spielraum für Investitionen zur besseren Ausstattung der Kinos läßt. Die Vorführkosten seien seit 1975 um sage und schreibe 1.600 Prozent gestiegen, die Preise für die Eintrittskarten hätten sich im selben Zeitraum aber lediglich verdoppelt.