„Wir haben jetzt schon den Dauerstau“

■ taz-Interview mit Verkehrssenator Horst Wagner (SPD) über den drohenden Autokollaps / Wagner ist gegen das Stockholmer Modell, kündigt aber eine Bewirtschaftung des Parkraums an / Straßenbau soll sich „in Grenzen“ halten

Ein Gutachten des TU-Professors Günter Hoffmann belegt, daß der Kollaps des Autoverkehrs in der Innenstadt kaum noch aufzuhalten ist. Über die Konsequenzen aus Hoffmanns Befund und über das Verkehrskonzept für den „zentralen Bereich“ zwischen Reichstag und Potsdamer Platz sprach die taz mit Verkehrssenator Horst Wagner (SPD).

taz: Wie weit ist Berlin vom Autokollaps noch entfernt?

Horst Wagner: Wir stehen einer Situation gegenüber, in der es zum öffentlichen Personennahverkehr keine Alternative mehr gibt. Das Gutachten von Professor Hoffmann über den innerstädtischen Bereich hat eindeutig ergeben, daß eine völlige Abkehr vom bisherigen Verhalten passieren muß, wenn der Verkehr noch rollen soll. Ein flüssiger Verkehr etwa in der Gegend um den Potsdamer Platz ist nur erreichbar, wenn das heutige Verhältnis von 60 Prozent motorisierter Individualverkehr zu 40 Prozent öffentlicher Personennahverkehr sich auf 20 zu 80 ändert.

Hoffmann forderte eine „äußerst restriktive Parkraumbewirtschaftung“, um den Kollaps abzuwenden.

Ich habe bereits vor einigen Monaten angekündigt, daß wir ein Parkraumkonzept vorlegen werden. In den nächsten Wochen werden wir konkrete Vorschläge machen. Mehr Nachfrage schaffen durch zusätzliches Parkraumangebot geht nicht.

AL und BI Westtangente haben gefordert, das Stockholmer Modell einzuführen: Autofahrer, die in der Innenstadt parken, brauchen eine Zeitkarte der BVG hinter der Windschutzscheibe. Was sagen Sie dazu?

Berlin ist eine polyzentrische Stadt mit verschiedenen Bezirkszentren und deshalb wenig geeignet, um Einfahrtmauten einzuführen. Was will man als Einfahrtgebiet sperren?

Die AL schlägt das Gebiet innerhalb des S-Bahn-Rings vor.

Das hieße für Berlin, daß nicht nur die Innenstadt zu einem solchen Sperrgebiet würde, sondern das ganze alte Berlin. Und das halte ich - jedenfalls unter den heutigen Aspekten - nicht für machbar.

Wie wollen Sie denn den Parkraum bewirtschaften?

Wir wollen den Wohnanliegern den absoluten Vorrang einräumen. Auf jeden Fall muß der Besuchs- und der Freizeitverkehr zurückgedrängt werden. Parkraumbewirtschaftung wird darauf hinauslaufen, daß für Anlieger Vorrechte geschaffen werden und daß auch das Parken am Straßenrand nicht mehr kostenlos ist.

Gutachter Hoffmann hatte auch festgestellt, daß der Kollaps des Autoverkehrs durch neue oder bessere Straßen nicht aufgehalten werden kann. Trotzdem planen Sie den Ausbau, zum Teil auch den Neubau von Straßen zwischen Reichstag und Potsdamer Platz.

Dabei bewegen wir uns im Rahmen der Vorschläge, die Herr Hoffmann selbst gemacht hat. Wir untersuchen jetzt, was dringend notwendig ist, um die Stadthälften Berlins wieder zu verbinden. Die Stadt wird sich weiterentwickeln. Und das geht nicht, ohne daß man Verkehr ermöglicht. Was wir planen, wird sich aber in Grenzen halten. Nur: Die Illusion der autofreien Stadt ist nicht Konzept dieses Senats.

Einige Aspekte hat das Hoffmann-Gutachten ja ausgeblendet: etwa das, was Straßenbahnen oder Busse übernehmen können, welche Bedeutung Fußgänger und Radfahrer haben können. Warum so autofixiert?

In unserer Vorlage ist der öffentliche Personennahverkehr ein ganz wesentlicher Mittelpunkt. Busspuren sind von vornherein vorgesehen. Die S-Bahn wird eine wesentliche Rolle übernehmen. Die vorhandene U-Bahn-Planung muß zumindest weiterverfolgt werden. Das gilt nicht nur für den Anschluß Krumme Lanke-Pankow, sondern auch für mögliche Neubauplanungen für eine U-Bahn vom Alexanderplatz über den Bereich Potsdamer Platz bis zum Kurfürstendamm.

Baut man zusätzliche Busspuren in der Leipziger Straße, wird der historische Grundriß des Leipziger Platzes beschädigt und zwei Häuser müssen abgerissen werden. Ist das den Bau einer Busspur wert?

Hier gibt es weitergehende Überlegungen, die aber noch nicht abgeschlossen sind. Natürlich ist die Überlegung, die alte Struktur des Leipziger Platzes zu erhalten, wesentlich

-kann man das mit einem behutsamen Ausbau der Straße erreichen? Auf jeden Fall kommen wir nicht mit nur je einem Fahrstreifen für den Individualverkehr aus.

Warum nicht?

Weil das Verkehrsaufkommen entsprechend ist. Wir können ja nicht, nachdem die Mauer weg ist, eine künstliche Sperre errichten und damit West- und Ost-Berlin verkehrsmäßig auf Dauer trennen. Wenn man Hauptstadt sein will, muß man zumindest soweit das Anfahren ermöglichen, wie es dienstlich nötig ist.

Wird der von Ihnen geforderte Hauptbahnhof am Lehrter Stadtbahnhof nicht zusätzliche Autoströme in diesen Raum hineinziehen und den Kollaps besiegeln?

Inwieweit Nutzer eines Hauptbahnhofs diesen ausschließlich mit öffentlichen Nahverkehrsmitteln erreichen, hängt wohl auch von der Gewöhnung der Menschen ab. Richtig ist, daß ein Hauptbahnhof Anfahrmöglichkeiten für Taxen braucht, und richtig ist, daß ein solcher Bahnhof Verkehr anziehen wird.

Sowohl ihre Verkehrsplaner als auch die Planer im Magistrat befürworten die Herstellung eines inneren Stadtrings, der unter anderem die Entlastungsstraße, die Kanaluferstraßen und die Dimitroffstraße einbeziehen würde. Und Sie?

Das ist ja die traditionelle Art der Bedienung einer Innenstadt, indem man den Verkehr soweit wie möglich auf einer aufnahmefähigen Straße um den Stadtkern herumlenkt und nur den Anlieferverkehr wirklich direkt hineinführt. Ich halte das durchaus für eine überlegenswerte Angelegenheit, die auch Grundlage der Planung werden kann.

Die Kreuzberger Baustadträtin Franziska Eichstädt befürchtet, daß ihr Bezirk dabei im Stau erstickt.

In weiten Teilen der Stadt haben wir schon Dauerstau. Deshalb wollen wir ja durch ein entsprechendes Angebot des öffentlichen Nahverkehrs die Menschen dazu bringen, umzusteigen und ihr Auto stehen zu lassen. Wir müssen also nach wie vor auf die Einsicht der Bürger und Bürgerinnen hoffen.

Interview: Hans-Martin Tillack