Diese Bilder sind das Letzte!

■ Dieter Zimmermann in der Kunsthandlung Maeder in Prenzlauer Berg

Im Spreewald gibt es große, vollbusige Frauen mit bunten Kopftüchern und wippenden Trachtenröcken; Männer, die nur in ledernen Halbschäftern herumlaufen, an einer abgeknabberten Onkel-Bräsig-Pfeife suckeln und dabei slawisch sprechen; Kinder, die schon zum Frühstück Gurkensuppe essen müssen; es gibt hier so viele Fische wie sonst nur noch im VEB Fischkombinat Saßnitz. Im Spreewald stakt man seine Kähne mit langen Stangen von Haus zu Haus, man singt sich abends sorbische Volkslieder vor, und Cottbus heißt gar nicht Cottbus, sondern Chosebuz - verdammt, das kann ja keiner aussprechen! Der Spreewald ist das Reservat der einzigen ethnischen Minderheit in der DDR: der Sorben, und die kennen nur zwei Farben: Braun wie das Wasser der Spree und Grün wie die Gurke.

Zimmermann

bleibt draußen

Wenn dieser Tage von DDR-Kunst die Rede ist, so kann man mit geradezu Übelkeit erregender Sicherheit davon ausgehen, daß es sich um die lärmende sächsische Kunstakademiekunst von Leipzig und Dresden handeln wird, allenfalls noch angereichert durch die meisterlichen Grauwertstudien der Berliner Schule. In Kritik und Kunstzeitschriften tauchen mit zyklischer Regelmäßigkeit gönnerhafte Schilderungen über Blut- und Urinorgasmen auf; es wird lächelnd von der Antiquiertheit reproduktiver Malerei gesprochen, vom Stumpfsinn expressiver Malerlehrlinge, man redet über Dilettantismus und Einseitigkeit. Und da wird jedes Malerlein, das nicht in den VBK hineindurfte, zum Dissidenten. Doch das Fatale ist nicht, daß die Moderne der DDR vom Westen mit soviel nachsichtiger Häme überzogen wird, sondern daß man sie überhaupt mit einer solchen Titelseitenpenetranz zur Kenntnis nimmt. Es scheint mitunter, als gäbe es für die sensationslüsterne Kunstkritik, hauptsächlich westlicher Provenienz, nur noch „Midgard“ und „Fotografie in Aktion“. Das jüngste 'Kunstforum‘ (Bd. 109) beweist mit dem - ruckzuck Rausschmeißen ganzer Fotoseiten über die „stilleren“ Künstler und der Hereinnahme dessen, was man schon längst kennt (Aktionskunst, die 86.), wo letztlich das Bedürfnis nach Aufarbeitung beheimatet ist. Bei soviel Rummel ist es nur verständlich, daß man Schlachthaus und „Aktionen“ aller Couleur mit der „zweiten Kultur in der DDR“ gleichzusetzen beginnt.

Zimmermann

malt Gurken

Zu den zweifellos weniger bemerkten Künstlern, den „stilleren“, gehört Dieter Zimmermann, der in einem kleinen Dorf in der Niederlausitz Haus und Atelier hat. Der kleine Ort Brahmow, am Rande des Spreewalds gelegen, hat 18 Häuser, und im 19. befindet sich der Dorf-Konsum; neben Menschen gibt es hier hauptsächlich Störche. Die Landschaft ist durchzogen von Kanälen, Flüßchen, Nebenarmen der Spree, die Wiesen und Auen teilen, kleinteiligen Segmenten einer Urstromtal-Landschaft, deren Topographie sich auch in der Blattaufteilung von Zimmermann bemerkbar macht. Auch in der Farbimpression schlägt sich der geographische Standort mit den erdigen Grün- und Brauntönen nieder, die sich in hunderterlei, an Mosaiksteinchen erinnernde Nuancen aneinanderfügen. Die Übervielfalt an Flußlandschaften in der Natur gebiert eine Übervielfalt an Bildnetzen.

Nun wäre es verfehlt, Zimmermann als Naturmaler oder gar als Naiven zu bezeichnen, was nicht bedeutet, daß er der Natur nicht verhaftet sei. Doch, er ist es! Immer wieder tauchen die Topoi des grünen Spreewaldes, der gurkenreichen Niederlausitz, der Fischer, Tierärzte, der Störche - eben des Sorbenlandes - in seinen Bildern auf, doch nie als Studie, sondern als Rebus. Als Bilderrätsel könnte man Zimmermanns Bilder bezeichnen, wenn er sie nicht selbst „Comics“ nennen würde.

Zimmermann

malt Comics

Schon seit mehreren Jahren stellt Zimmermann unter der Rubrik Comic seine Bilder und in Emaille gebrannten kleinen Kostbarkeiten aus, die sich wie ein mittelalterliches Evangeliar Seite für Seite umklappen lassen. Und das, obwohl man in der DDR allenfalls den „Bildergeschichten“ pädagogischen Zweck zuerkannte. Er überschreibt seine Bilder mit „Comics“, obwohl sich auf dem ersten Blick keine Beziehungen zu den uns bekannten Comics herstellen lassen. Seine Berührungsängste sind ganz offensichtlich geringer als die der Hochkultur. So hatte Zimmermann denn auch keine Scheu, in dem in der „Edition Liane“ erschienen Band Leichtmetall . 42 Comiczeichner aus der DDR mitzuwirken.

Zimmermanns Gestaltungsprinzip faßt den Begriff des Comics erfreulich weit, er erinnert dabei an die Neuruppiner Bilderbögen, Armenbibeln und tableauartiger Karikaturen, verwendet Sprechblasen und Lautwörter, seine Bilder nennen sich Ein Heldenlied im Gurkengrund, Hoch die Prachtgurken, In der Schweinemastanlage, Es lebe die Prachtkarotte, 750 * Bochwurst, Pücklers Ehrung, Der sogenannte Maler im sogenannten Atelier I-IV ...

Seine Bildtiteleien kommentieren nicht tiefsinnig - zum Beispiel Hyperborale C oder Kristall 234 - einen uns nur damit (so hofft der Künstler) erklärbaren Inhalt, auch nicht mit depressiv-bedeutungsschwangeren Magien wie Am Tage des Mondes oder Lapidarem wie Der rauchende Mann, sondern vermittelt auf viel simplere Art eine Bildergeschichte und deren Ironie. Denn Zimmermann nimmt sich selbst nicht ernst. In Bildern wie Das Einwohnermeldeamt malt er mit irrsinniger Akribie tatsächlich in winzigsten Bildkästchen Kopf an Kopf an Kopf ..., und man glaubt wirklich, einen ganzen Ort vor sich zu sehen. Dann wieder denkt man an ein Gemüsebeet, von oben betrachtet; an Grünkohl und Spinatplantage. Oder aber er malt „Köppe“ - Tierärzte, Fischer, Gäste aus der berüchtigten Cottbuser Kneipe „Stotterbar“. Zimmermann abbreviiert unablässig, gibt Rätsel auf, spielt in Kürzeln und Zeichen mit unserer Phantasie.

Zimmermann

hat Lust

Sicherlich ist es das Heitere, das ansonsten in der DDR -Kunst oft schmerzlich vermißte Spielerische, die Leichtigkeit der herzlichen Ironie, das krustenlose Selbstverständnis und die unverleugnete Bodenständigkeit (ein Wort, das zu Unrecht zu oft gemieden wird), dem das Fesselnde seiner Figurentabellen entspringt.

Zimmermanns buchartig zusammengeklammerte, beidseitig mit Bildergeschichten bemalte und gebrannte Emailleplatten erfordern fast eine Besprechung für sich. Die Unverfrorenheit, mit der er ein eigentlich der Volkskunst zugewiesenes Material und dessen Veredelung für seine amüsanten Geschichtchen und Bildsammlungen benutzt, verrät genau jene kleinteilige Detailfreudigkeit und die Lust am Schaffensprozeß - nicht so sehr am anspielungsreichen Endprodukt -, die es uns möglich machen, zu dem trotz allem erdigen Timbre luftige Bilder so charmant zu assoziieren.

Zimmermann

kennt Sitte

Zimmermanns in lockerer Peinture gehaltenen pointilistischen, an Gerhard Richters Farbquadrate erinnernden Impressionen, die anekdotischen, jeden ästhetitizistischen Zierat entbehrenden Bildtagebücher, seine durch die Moderne nur formal inspirierten, aber im motivischen Kanon unzerstörten, fast an die Bitterfelder-Weg -Arbeiten eines W. Sitte (Chemiearbeiter am Schaltpult; übrigens war Willi Sitte Lehrer von Zimmermann auf der Halleschen Hochschule Burg Gibichenstein) erinnernden Bildannoncen, die unüberfrachteten rubikwürfelartigen, frei untereinander kombinierbaren Konstrukte - ergeben Teile einer DDR-Kunst, die nur allzu selten nach außen präsentiert und von dort noch seltener als „stillerer“ Teil einer sich ansonsten staatstragenden oder marktschreierisch -revolutionär gerierenden Malerei, als „Malerei an den Rändern“ akzeptiert wurde.

Zimmermann

kann gar nicht malen

Wer von Zimmermann akademische Verve und naturalistische Perfektion erwartet, erwartet eine durch Heiter-Kauziges angeregte Leichtverständlichkeit. Doch mitnichten: Zimmermann malt zwar in Ikonen, und seine Bildpattern - hier ist die Peitsche, dort ist der Löwe und da vorne der Mensch, also ist es Zirkus - sind sichtbar, doch knifflig wird die Sache, will man die ach so vielen Bildchen nach dem auf dem Rückbezüglichkeit beruhenden Erzählschema des Comics von links nach rechts und so weiter lesbar machen - da lacht sich Zimmermann ins Fäustchen. Es wird sich so mancher Besucher schon verarscht gefühlt haben, als er den Titel Nacktes Paar am Strand las und dann enttäuscht so ein wursteliges grünes Quadratallerlei entdecken mußte. Und weil er sich das nicht gefallen zu lassen brauchte, schrieb er in das Gästebuch einer Ausstellung: „Diesen Maler sollte man einer geordneten Arbeit zuführen„; und ein anderer war sich sicher: „Die Bilder von Z. sind das Letzte!“

Zimmermann

ist privilegiert

Wie man sieht, sind nicht nur die Perforierungsakrobaten im Besitz des Privilegs, mißverstanden werden zu dürfen. Bei Zimmermann sollte man sicht vielleicht auf die schwachbrüstige Formel „regionalistische Abstrakte“ einigen, unter der ganz sicher noch eine Reihe anderer interessanter Entdeckungen auf uns warten.

Volker Handloik

Dieter Zimmermann in der Kunsthandlung Maeder in Prenzlauer Berg, Dimitroffstraße 12, Berlin 1058. Noch bis zum 27. August. Maeder ist übrigens eine der wenigen neuen Galerien mit einem rein kommerziellen Interesse.