Emanzipation des Fernsehens

■ Jochen Hicks kleines Fernsehspiel „Via Appia“, Di., 23 Uhr, ZDF

Fällt einem Regisseur nichts besseres ein, dann macht er eben einen Film über einen Film. Der Effekt, der sich einstellt, wenn die Illusion des Zuschauers zum Bestandteil der erzählten Geschichte wird, ist inzwischen zu einem Topos geworden. Das ist kein Kunstgriff mehr, sondern ein kalkulierter Aha-Effekt. Wenn dieser Film im Film dann auch noch von Aids handelt, so stehen sich damit zwei abgegriffene Topoi gegenüber, die die Langeweile entweder komplett machen oder - nach dem Motto minus mal minus gibt plus - auf interessante Art interagieren.

Regisseur Jochen Hick hat die Flucht nach vorne angetreten. Und man muß zugeben, daß ihm das gelungen ist. Sein Film-im -Film-Regisseur (Yves Jansen), der nicht zufällig aussieht wie der Camel-Mann, will einen dieser „scheißauthentischen Schicksals-Report-Filme“ über den schwulen Stewart Frank (Peter Senner) drehen, der sich in Rio den HI-Virus geholt hat. Schon der Einstieg in die Story, die Frank „rekonstruiert“, ist so beknackt 'Stern'-Report-mäßig reißerisch, daß man sich nur an den Kopf greifen kann. Ein auf fliegendes Personal spezialisierter Stricher infiziert einen reichen Europäer und hinterläßt am Morgen auf den Badezimmerspiegel den Spruch „Welcome to the Aids Club“.

Genau so kann man sein Geld mit dem „Schicksal“ von Homosexuellen verdienen. Doch genau in dem Moment, in dem man als Zuschauer diesen Kack realisiert und sich darüber ärgert, ist man bereits selbst „infiziert“. Infiziert vom Virus der „Authentizität“, dem sublimsten Virus, den das Fernsehen zu bieten hat. Allzu bereitwillig vergißt man nämlich, daß das gar kein Dokumentarfilm ist und ganz und gar keiner sein will. Auch wenn man hin und wieder bei einem „überraschenden“ Schwenk den Kameramann sieht - Impact! oder die Filmdosen.

Die Schwierigkeit, dem Film gerecht zu werden, ihn ein stückweit wiederzugeben, um auf entscheidende Punkte hinzuweisen, ergibt sich daraus, daß man sofort auf diese fiktive Dokumentarebene rutscht. Ein schmieriger Regisseur folgt einem infizierten Schwulen durch Rio. Die Kamera begleitet Frank durch zwielichtige Spelunken, einschlägige Saunen und die berüchtigte Via Appia, der Stricherstraße von Rio. Dann auch noch dieses platt romantische Motiv, daß Frank den Stricher Mario wiederfinden möchte, der ihn infiziert hat. - Darauf werden wir sogar mit der Nase gestoßen, denn Frank sagt einmal: „Eigentlich ist es ja Schwachsinn, daß es eine Person gibt, die man aus dem Rest heraushebt. Man muß ja nicht alles den Heteros nachäffen.“ Die Lust, sich über diese klischeehafte Psycho -Exploitation zu ärgern, resultiert aus der Qualität des „eigentlichen“ Films. Regisseur Jochen Hick ist es gelungen, trotz - oder gerade wegen - der exotischen Bilder aus einer fremden Stadt das typische Moment jener verquasten Kunstdokumentationen auf den Punkt zu bringen, mit denen man für gewöhnlich zu dieser Sendezeit traktiert wird. Gerade weil diese konstruierte Situation so unkonstruiert vertraut erscheint, sind die Bilder nicht mehr das, was sie vorgeben. Das ist es, was man „Emanzipation“ des Fernsehens nennen könnte.

Rie