Bagdad auf dem Kreuzzug?

■ Die Golfkrise spitzt sich mit jedem weiteren amerikanischen Aufmarsch zu

Um ihre Bedrohung durch arabisch-nationalistische Kräfte, die die wirtschaftliche Potenz des Öls zur Entwicklung der „Arabischen Nation“ nutzen wollen, wissen die Prinzen und Potentaten in Kuwait-City, Riad oder Dubai seit den Zeiten Gamal Abd el-Nassers. Seit langem ließ sie daher auch jedes Hüsteln aus Bagdad um ihre Throne bangen. Kein Wunder, daß sich der saudische Monarch Fahd nach dem irakischen Einmarsch im schwerreichen Öl-Emirat Kuwait um militärischen Beistand an die USA wandte. Den Gesichtsverlust in der arabischen Welt nahm er dabei nach der Devise „Du bleibst der König - auch in Unterhosen“ in Kauf. Bereitwilligst kam US-Präsident Bush dem königlichen Ansinnen nach und setzte zum Schutz der weltgrößten Öl-Lagerstätten die gewaltigste Truppenbewegung seit dem Vietnamkrieg in Gang.

Der amerikanische Aufmarsch, mittlerweile verstärkt durch arabische Kontingente und europäische Flottenverbände sowie flankiert von einem umfassenden UNO-Embargo, mutet jedoch in mancher Hinsicht merkwürdig an. Denn der Überfall auf Kuwait unterscheidet sich letzlich in nichts vom irakischen Angriff auf den Iran. 1980 indes, als Bagdader Panzer gegen Khomeini rollten, mochte sich die internationale Gemeinschaft nicht nur nicht zu Sanktionen aufraffen, sie belohnte den Bagdader Regenten gar mit großzügigen Krediten und modernstem Kriegsgerät. Acht Jahre ließ man den mesopotamischen Despoten gewähren. Doch als der Irak auch nach dem Golfkrieg weiterrüstete und schließlich im nachbarlichen Kuwait einmarschierte, war aus dem hehren Kämpfer gegen die fanatischen Mullahs urplötzlich der „Schlächter vom Tigris“, der „Hitler von Bagdad“ geworden.

Ungeachtet der Kontingente, die einige arabische Staaten nach Saudi-Arabien verlegten, kann Saddam Hussein auf die Sympathien vieler Araber zählen. Die Golfkrise, die gegenwärtig noch den Anschein eines arabisch-irakischen Konflikts zeigt, wird mit jedem zusätzlichen US-Soldaten, mit jedem neuen Kriegsschiff, das ins Rote Meer oder den Persisch-Arabischen Golf einläuft, mehr und mehr zu einer irakisch-amerikanischen Konfrontation. Diese Entwicklung ist auch der propagandistische Ansatzpunkt für Saddam Hussein. Gelingt dem keineswegs ungeschickten Demagogen die „Beweisführung“, bei allen Maßnahmen gegen den Irak handle es sich letzlich um eine amerikanisch-zionistische Verschwörung gegen die arabische Welt, so ist ihm die Unterstützung der arabischen Massen - wie bereits in Jordanien und in den von Israel besetzten Gebieten sicher.

Sollte es zu einem Angriff der USA kommen, die erklärtermaßen eine „Offensivschlagkraft“ am Golf aufbauen, bliebe Saddam Hussein zum Nachweis des amerikanisch -zionistischen Komplotts noch die „israelische Karte“: Fünf irakische Panzer, in Richtung Amman in Marsch gesetzt, würden dazu vermutlich ausreichen. Denn eine irakische Invasion in Jordanien - Israel wäre somit Frontstaat - wird man in Jerusalem nicht hinnehmen. Saddam stünde dann gegen Schamir und der innerarabische Konflikt könnte als Bagdader Kreuzzug gegen den verhaßten Zionistenstaat verkauft werden. In Kairo, Damaskus oder Rabat müßte man sich dann eine gute Begründung einfallen lassen, um plausibel zu machen, warum man ausgerechnet mit Israel gegen einen arabischen Bruderstaat zu Felde ziehen sollte.

Dieses mögliche Szenario, das eine ganze Region grundlegend destabilisieren kann, sollte vor allem den USA nahelegen, ihre Militärpräsenz keinesfalls für einen Offensivschlag auszulegen und die politische und militärische Initiative zunehmend an arabische Staaten abzutreten. Der Irak ist in jeder Weise vom Erdölexport abhängig. Und die Einhaltung des UNO-Embargos wird ihn über kurz oder lang zu Verhandlungen zwingen. Mehrere Gesprächsangebote Saddam Husseins deuten bereits in diese Richtung. Ob mit oder ohne Zutun des Bagdader Herrschers, ewig werden die feudalen arabischen Scheichtümer und Königreiche ohnehin nicht leben.

Walter Saller