Waffen, Uran und „Omega-Men“

■ Die lange Geschichte der brasilianisch-irakischen Atom-Connection / Militärkontakte, Uranexporte und Geheimabkommen / Auch die BRD muß davon gewußt haben, als sie 1975 den deutsch-brasilianischen Atomvertrag unterzeichnete

Aus Rio Federico Füllgraf

„Brasilien ist ein befreundetes Land“, lautet die Einschätzung des irakischen Präsidenten Saddam Hussein. Deshalb bilden die Brasilianer unter den im Irak festgehaltenen Ausländern eine privilegierte Gruppe: Sie dürfen das Land verlassen.

Mit dieser Geste versucht der Irak, der in der vergangenen Woche noch das freie Geleit für Brasilianer von Lebensmittellieferungen abhängig machen wollte, ein gutes Jahrzehnt enger und exemplarischer Beziehungen zu Brasilien zu honorieren.

„Beispielhaft“ in den Augen der Militärs beider Länder sind diese Beziehungen nicht nur, weil es Brasilien gelang, seine Hühnerhälften vom Großschlachthof „Sadia“ zwischen Tigris und Euphrat beliebt zu machen oder etwa durch den Tausch von Erdöl gegen Waffen die Energie- und Rüstungsindustrien beider Länder eng miteinander zu verflechten. Wirklich exemplarisch schienen diese Beziehungen bis zum Abtritt der Sarney-Regierung deshalb zu sein, weil die Militärs beider Länder zu Beginn der achtziger Jahre bereits zur Erkenntnis gelangt waren, daß es zwischen der brasilianischen und der „islamischen“ Atomforschung eine „Allianz“ geben sollte. So eng verflochten wurden die militärischen Atomforschungsprojekte beider Länder, daß im Falle der Zündung einer irakischen A-Bombe Brasilien schon jetzt als Geburtshelfer des radioaktiven Monstrums bezeichnet werden kann.

Mitte der 80er Jahre hatte das Defizit der brasilianischen Handelsbilanz gegenüber dem Irak 13 Milliarden US-Dollar erreicht. Heute steht der Irak allein bei der staatlichen „Banco do Brasil“ mit rund 500 Millionen US-Dollar in der Schuld, die Summe der brasilianischen Guthaben im Irak beläuft sich nach inoffiziellen Angaben auf mehr als eine Milliarde US-Dollar. Dieser Trend ist die Folge des wirtschaftlichen Zusammenbruchs des Irak nach dem Krieg mit dem Iran. Die Wende in den Wirtschaftsbeziehungen zu ihrem Erdöl-Hauptlieferanten gelang den Brasilianern 1985, als der irakisch-iranische Krieg mit dem Einsatz schwerer Waffen seinen Höhepunkt erreicht hatte. Der Krieg mit dem Iran verwandelte den Irak in den größten Waffenkäufer der brasilianischen Rüstungsindustrie. Insgesamt 500 Panzer mittlerer Größe und 5.000 gepanzerte Kampffahrzeuge mit Radantrieb der Typen „Cascavel“, „Urutu“ oder „Jararaca“ wurden in den Irak verkauft und im heißen Wüstenkrieg erfolgreich erprobt. Die neuesten Generationen dieser Panzerfahrzeuge mit Schlangennamen wurden vom Rüstungskonzern „Engesa“ sogar mit Bordcomputern und audiovisuellen Bedienungsanleitungen in arabischer Sprache serienmäßig geliefert.

Auch wenn im „Itamaraty“ (Außenministerium) und in den Chefetagen einiger brasilianischer Mammutbaufirmen wie „Mendes junior“ gerätselt wird, wann die Iraker endlich ihre Schulden zahlen werden, blicken alle sehr süffisant auf das letzte Jahrzehnt zurück, als man mit dem Ausbau der von Washington und Bonn gleichsam beargwöhnten „Bagdad-Brasilia -Connection“ begann. Wie sich schon 1982 herausstellte, nahmen beide Partner dieses politisch-militärischen Strickwerkes dabei wenig Rücksicht auf internationales Recht (zum Beispiel UN-Resolutionen zur Verhinderung des Waffenexportes in Spannungsgebiete oder die Regelungen des Atomwaffen-Sperrvertrages) und entwickelten ein von anderen Dritte-Welt-Ländern stark beneidetes, weil die Industrieländer provozierendes Szenario.

Während Privatunternehmer stets die Dienste eines von Paris aus agierenden libanesischen „commercial advisers“ für ihre Irak-Geschäfte in Anspruch nehmen - und nicht selten sechsstellige Dollar-Summen als „Vermittlungskommission“ zahlen mußten, die als „bakshish“ von der irakischen Regierung verwendet wurden, hatten die brasilianischen Militärs, vor allem zur Regierungszeit von General Joao Figueiredo, direkte Drähte zu Saddam Hussein. Folgerichtig wurde der Botschafterposten in Bagdad Anfang der 80er Jahre auch mit General Samuel Alves Correa besetzt, der hier vor allem im Auftrag des brasilianischen Geheimdienstes SNI und des nationalen Sicherheitsrates CSN handelte.

Im Jahr 1982, wenige Wochen nach der Bombardierung des irakischen AKWs „Osirak“ durch die israelische Luftwaffe, plazierte die Tageszeitung 'O Estado de Sao Paulo‘ eine explosive Aufmacher-Story, die das Konkurrenzblatt 'Jornal do Brasil‘ aus Rio jetzt mit neuen Einzelheiten anreichert. Reporter des 'O Estado‘ waren einer heißen Spur nachgegangen und hatten auf dem Flughafen des „Zentrums für Luft- und Raumforschung“ (CTA) Transporter der Luftwaffe entdeckt, die neben konventionellen Waffen für den Irak auch „Yellow-cake“ -Briketts - für die Anreicherung bestimmtes, gepreßtes Uran

-an Bord nahmen. Wochenlang rätselten in- und ausländische Wissenschaftler und Politiker über das Verwendungsziel und das Ausmaß der brasilianisch-irakischen Atom-Connection. Im August 1982 bestätigte mir im Off ein ziviler Uranfachmann des IPEN-„Instituts für Energie und Atomforschung“ auf dem Campus der Uni Sao Paulo, daß er drei Wochen lang die Uranpressung in entsprechenden Hochöfen geleitet und der Irak davon fast 1.000 kg bestellt hatte. Den Auftrag erhielten die damals nichtsahnenden Wissenschaftler von der Atomkommission CNEN; „der Befehl kam von oben“, vom Sicherheitsrat CSN.

Erst jetzt, acht Jahre später, kommt heraus, daß eine „nukleare Militärallianz mit dem Irak“ bereits 1971, während der Regierungszeit von General Ernesto Geisel - also vier Jahre vor der Unterzeichnung des deutsch-brasilianischen Atomvertrags vom Juni 1975 - von dem Geheimdienst SNI und dem Sicherheitsrat CSN beschlossen worden war. Inhalt und Zielsetzung dieser Atomkooperation abseits des Atomwaffensperrvertrags wurden in Bagdad zwischen Saddam Hussein und dem brasilianischen Geheimdienstchef General Octavio Medeiros ausgehandelt. Dies ist bedeutend, weil der Bundesregierung in Bonn die hintergründigen Absichten Brasiliens bewußt und die aus der Irak-Connection resultierenden Gefahren und Verstöße gegen internationales Recht verdächtig sein mußten.

Zu diesem Zeitpunkt begann auch die brasilianische Marine mit der Entwicklung der Zentrifugen-Technologie für die Urananreicherung, deren Labore 1988 in Ipero bei Sao Paulo eingeweiht wurden. Seitdem ist offensichtlich, daß die Marine auf deutsche Vorleistungen - wenn nicht sogar auf eingeschleuste westdeutsche Zentrifugen-Blaupausen zurückgreift. Einzelheiten wie diese beschäftigten 1989 auch den sogenannten „Atomskandal„-Untersuchungsausschuß des Bundestages in Bonn. Ein namentlich nicht zitierbarer Exminister der Figueireido-Regierung bestätigt jetzt, daß „der SNI von der Prämisse ausging, daß der Irak in Teilbereichen der Atomforschung über fortgeschrittene Technologie verfügte“. Brasilien wollte damals den Anschluß nicht verpassen. Doch wenige Jahre später war umgekehrt der Irak stärker auf brasilianische „Fortschritte“ angewiesen; offenbar vor allem im Bereich der Lenkwaffen- und Trägerraketenforschung. Auch hier greift Brasilien auf substantielle Vorleistungen der Bundesrepublik zurück, denn schon 1971 unterzeichneten das CTA und die DFVLR (Deutsche Forschungs- und Versuchsanstalt für Luft- und Raumfahrt, Köln-Porz), ein Kooperationsabkommen, das den Brasilianern das Know-how von Trägerrakteten „für Wettersatelliten“ übertrug - die „Sonda„-Generation.

Dieser „Technologietransfer“ förderte den Auf- und Ausbau eines militärischen Lenkwaffenprogramms, das auch zum Exporthit des halbstaatlichen „Avibras„-Konzerns in den Irak wurde. Sein ehemaliger Aufsichtsratsvorsitzender und Ex-CTA -Kommandant, Luftwaffenbrigadier a.D. Hugo Piva, steht nun seit 1989 als „Omega-Man“ (Code-Bezeichnung für internationale Atomwaffensöldner) in Saddam Husseins Diensten wie einst der Chef der argentinischen Atomkommission CNEA, Carlos Quihillalt, im Dienste des iranischen Schahs Reza Pahlevi. Seine Aufgabe: die Trägerraketen-Entwicklung für die „islamische Atombombe“ des Irak.