Frankreichs Araber wundern sich

Paris (taz) - Kein anderes europäisches Land hat so enge Beziehungen zur arabischen Welt wie Frankreich - und dies nicht allein, weil die französischen Waffenschmieden ihre Produkte im Irak und anderswo loswerden mußten. Als ehemalige nordafrikanische Kolonialmacht ist Frankreich das bevorzugte Einwanderungsland für die Maghreb-Staaten geworden. Kein Wunder also, daß in „La Goutte d'Or“, dem Pariser Immigrantenviertel in der Nähe des Nordbahnhofs, die Krise im Golf intensiv verfolgt und diskutiert wird. „Eins mußt du verstehen: alle Araber sind Brüder, egal was passiert“, beendet Khaled, Wäschereiangestellter in der Rue Myrha, eine Debatte über Für und Wider der irakischen Annexion. Es sei zwar unrecht, ein Land zu besetzen, aber schließlich hätten die reichen Emire rein gar nichts getan, um den ärmeren arabischen Staaten zu helfen. Und jetzt machten sie auch noch gemeinsame Sache mit den Freunden Israels... „Nein, das muß unter uns Arabern gelöst werden.“

Saddam, der für die meisten Bewohner von La Goutte d'Or bisher nur ein x-beliebiger Diktator war, hat durch den Aufmarsch der USA den Nimbus des Opfers bekommen. Seine Propaganda, die den Einmarsch in das Ölscheichtum als Kampf der Armen gegen das Kapital darstellte, ist auch bei den Armen des Pariser Immigrantenviertels nicht auf taube Ohren gestoßen. „Wir haben das Öl, aber die Amerikaner haben Dollars und American-Express-Karten“, erklärt ein biertrinkender 17jähriger auf einer Bank den Unmut gegen die USA. Der alte Abdelhamid Zebentout sieht im Fall Kuwaits eine göttliche Strafe: „Gott gab ihnen Reichtum. Aber das kuwaitische Öl hat nur westliche Kasinos und Freudenhäuser am Leben gehalten.“ Mounir, einer der Geflügelverkäufer in der Rue de la Goutte d'Or: „Als Israel den Gaza-Streifen besetzt hat, protestierte niemand. Aber wenn Irak sich die Gebiete wieder holt, die früher von den Engländern okkupiert waren, dann gehen die Schilde hoch, und die UNO verdammt die Aktion.“ Und sein Bruder Zacharie fragt sich, was die Franzosen im Golf verloren hätten: „Dies eine Mal bin ich mit Le Pen einer Meinung: das ist ein rein innerarabischer Konflikt.“

Auch innerhalb der arabischen Intellektuellen, die in Frankreich leben, scheint die Stimmung, einem Bericht von 'Le Monde‘ zufolge, nach dem amerikanischen Truppenaufmarsch in Saudi-Arabien umgeschlagen zu sein. Lediglich der marokkanische Schriftsteller Tahar Ben Jelloun beklagt, daß „die gesamte arabische Welt jetzt durch die Aktion eines einzigen Mannes und nicht etwa durch eine Kultur oder ein Volk entstellt wird“. Ansonsten herrschen Meinungen vor wie die des ägyptischen Schriftstellers Lotfallah Soliman, der das Verschwinden „jener Ölquellen, die von den ehemaligen Kolonialmächten künstlich in den Rang von Staaten erhoben wurden“, begrüßt. Und der libanesische Autor und Herausgeber der Zeitschrift 'Zawaya‘, Fawaz Traboulsi, läßt sich mit dem gleichen Argument zitieren wie der Wäschereiangestellte Khaled: „Wir stehen auf der Seite der Feinde unserer Feinde...“

smo