Japans Zwiespalt im Golf-Engagement

■ Nippon, zweitstärkste Wirtschaftsmacht der Welt, ringt um ein weltpolitisches Selbstverständnis in der Krise / Japans Verfassung postuliert Gewaltverzicht bei internationalen Konflikten

Aus Tokio Georg Blume

Immer häufiger klingelt das Telefon des US-amerikanischen Präsidenten in der Tokioter Residenz von Premierminister Kaifu. Gerade reist der japanische Außenminister, Taro Nakayama, auf einer Neun-Tage-Tour durch den Nahen Osten. Schon erscheint selbstverständlich, daß Saddam Hussein auch die Ausreise japanischer Staatsbürger aus dem Irak und Kuwait verweigert. Aber zu alt ist wohl der Konflikt zwischen Orient und Okzident, als daß diese neue Facette Japans Einbindung in die Krise - wirklich ins Auge fiele.

Ist die Wirtschaftsgroßmacht Nippon mehr als nur Statist im internationalen Krisenszenario? Politiker und Bürokraten in Tokio zerbrechen sich den Kopf darüber. Ähnlich der derzeitigen Diskussion in der Bundesrepublik erwägen die einen bereits militärische Maßnahmen, während andere schlicht auf dem in der Verfassung verankerten Gewaltverzicht beharren. Die Fronten gehen quer durch Parteien und Regierung.

Am weitesten wagte sich Michio Watanabe, einflußreicher Regierungspolitiker und Fraktionschef der Liberaldemokratem im Parlament, in der Öffentlichkeit vor. Er forderte gemäß dem bundesdeutschen Beispiel, japanische Minensuchboote in den Golf zu entsenden. Watanabe verlangte „aktive Anti-Irak -Maßnahmen, die über bloße Wirtschaftssanktionen hinausreichen“.

Diesen Grundgedanken teilen viele Politiker in der liberaldemokratischen Regierungspartei (LDP). Etwas vorsichtiger formuliert der ehemalige Premierminister Noboru Takeshita die neue Herausforderung: „Ein Japan, das in der Welt vertreten sein will, kann seine Schuld nicht allein mit Geld begleichen. Es muß auch menschlichen Einsatz zeigen.“

Noch stehen einem solchen Einsatz neben verfassungsrechtlichen auch gesetzliche Hürden im Wege. Als Nippons Entwicklungshilfe während der achtziger Jahre in bisher unbekannte Höhen stieg, sah sich das Parlament veranlaßt, die Kompetenzen der Regierung abzustecken. Gestattet wurde ihr zwar die „Entsendung dringlicher Hilfe“ im Falle von Naturkatastrophen, nicht aber im Kriegsfall.

Der Einsatz japanischer Soldaten im Ausland ist generell nicht gestattet. Der Handlungsrahmen für die Regierung scheint also eng - dennoch gibt es Auswege. Schon wird die Beteiligung japanischer Soldaten an UNO-Truppen erwogen. Im Kabinett wird gar diskutiert, Soldaten umstandslos in den Dienst des Außenministeriums zu stellen. Damit wären sie offiziell ihrer militärischen Funktion enthoben und könnten im Einklang mit dem japanischen Gesetz als Hilfskräfte ohne militärischen Auftrag gen Nahost ziehen.

Im ganzen hält sich die Regierung Kaifu bisher jedoch bedeckt. Jeden Tag aufs neue muß Regierungssprecher Sakamoto beteuern, daß man derzeit noch überlege, wie Japan den „internationalen Forderungen nach größerem Engagement“ gerecht werden könne. Premierminister Kaifu ist in einer peinlichen Lage. Gerade in der Außenpolitik hat der erst vor einem Jahr als politischer „Nobody“ angetretene Regierungschef seine größten Lorbeeren verdient. Sie heute zu verlieren, könnte ihn sein Amt kosten.

Mit Kaifu hat die japanische Außenpolitik erst in den letzten Monaten einen profilierteren prowestlichen Anstrich bekommen, den europäische und US-amerikanische Diplomaten seit langem einklagen. Der Weltwirtschaftsgipfel von Houston, der sowohl die japanischen Ansprüche gegenüber der Sowjetunion als auch die japanische Chinapolitik (Ende des Wirtschaftsboykotts) billigte, darf als ein bisher kaum denkbarer diplomatischer Erfolg für Tokio gewertet werden. Entsprechend hoch schlug Kaifus Popularitätswelle auch im eigenen Land. Doch seit Ausbruch der Nahostkrise hüllt sich der Premierminister wieder in außenpolitisches Schweigen.

Eigentlich sollte er und nicht sein Außenminister in diesen Tagen die westlichen Verbündeten in Nahost hofieren. Erst vergangene Woche sagte Kaifu trotz US-amerikanischer Fürsprache kurzfristig ab. „Zu kompliziert“ sei die Diplomatie in Nahost für die japanische Regierung, höhnte alsbald die 'Nihon Keizai‘, Tokios führende Wirtschaftszeitung.

In Wirklichkeit aber dürften die Komplikationen eher im internen japanischen Interessenausgleich liegen. Yotaro Iida, Mitsubishi-Chef und damit einer der einflußreichsten Wirtschaftsbürokraten des Landes, bleibt bis zum heutigen Tag Vorsitzender der japanisch-irakischen Freundschaftsgesellschaft, und wohl auch in seinem Namen hat sich das mächtige Außenhandels- und Industrieministerium (MITI) dafür verwandt, in der Nahostkrise die größtmögliche Zurückhaltung auszuüben. Damit liegt es im Streit mit dem Außenministerium.

Dennoch sind sich die Bürokraten beider Ministerien wiederum einig, die Krisenpolitik nicht der Regierung und den Politikern zu überlassen. Erst am Dienstag düpierte der Chefbürokrat im Außenministerium seinen in Amman verweilenden Dienstchef, indem er der Regierung zuvorkam und Gesetzesveränderungen vorschlug, die auf die Erleichterung von Auslandsinterventionen abheben.

Premierminister Kaifu ist da - wie alle seine Amtsvorgänger - zum Durchgreifen nicht bereit. Gestern traf er sich mit Oppositionsführerin Takako Doi, um sicherzugehen, daß die Sozialisten, die im japanischen Oberhaus (ähnlich der SPD im Bundesrat) die Mehrheit kontrollieren, jegliche Gesetzesänderung zugunsten einer Intervention in Nahost aufs schärfste bekämpfen werden. Doi ist die wohl vehementeste Verfechterin der sogenannten japanischen „Friedensverfassung“.

Die postuliert in Artikel 9: „Das japanische Volk verzichtet für immer auf das Recht der Nation, Krieg zu führen und Gewaltandrohung zur Lösung internationaler Konflikte einzusetzen.“ Solange das gilt, kann das Machtgerangel in Tokio lange währen. Es schützt alle vor allzugroßen politischen Fehlern.