Gefangene kritisieren Todesstatistik

■ Steigende Selbstmordrate im hessischen Strafvollzug / Vorwurf der Statistik-Fälschung Justizministerium macht Überbelegung verantwortlich / Gefangenenhilfsorganisation protestiert

Aus Frankfurt Heide Platen

Wiederauferstehung in hessischen Gefängnissen? Die Gefangenenhilfsorganisation „Phönix“ legte jetzt eine Auswertung der offiziellen Selbstmord-Statistiken der Landesregierung vor. Danach brachten sich in hessischen Vollzugsanstalten zum Beispiel im Jahr 1983 acht Menschen um, in einem nachfolgenden Zahlenwerk waren es nur noch sechs. Verzeichnete das Land zuerst 1984 sieben Freitode in der Haftzelle, verschwand später auch hier statistisch ein Toter in der Auflistung. „Phönix“ wirft der Landesregierung seither vor, Statistiken zu fälschen.

Der 51jährige Gefangene Maier erhängte sich in der vergangenen Woche in seiner Zelle in der Justizvollzugsanstalt I in Kassel. Er brachte sich genau an dem Tag um, an dem in den Medien Rede und Gegenrede zwischen dem hessischen Justizministerium und der Gefangenenselbsthilfeorganisation „Phönix“ getauscht wurde. Damit spitzt sich die Kontroverse zu. Maier habe, sagen gefangene Zeugen, am Abend vor seinem Tod wegen familiärer Probleme um ein Gespräch gebeten. Dies sei ihm verwehrt worden. Sie sehen in diesem neuen Fall ebenso einen Skandal wie in dem, bei dem im vergangenen September der 26jährige Frank Körschgen, ebenfalls in Kassel, zu Tode kam. Hier werfen sie Vollzugsbeamten vor, sie hätten den schwer leberkranken Mann, der im Koma in die Städtischen Kliniken gebracht worden war, zu Tode geprügelt. Körschgen hatte um sich geschlagen und sei von den Beamten zurück ins Gefängnis gebracht, verprügelt und in eine Beruhigungszelle gesteckt worden. Dies könnten Gefangene eidesstattlich bezeugen.

Die Gefangeneninitiative, die von den Grünen unterstützt wird, fordert zu allen Selbstmord- und Todesfällen in hessischen Haftanstalten Untersuchungsausschüsse. Dies um so mehr, als sich in den letzten Jahren die Situation der Gefangenen immer mehr verschlechtert habe. In den letzten Monaten war es in verschiedenen Gefängnissen deshalb immer wieder zu Unruhen gekommen. Der zuständige Referent im Justizministerium, Dr.Dahlke, zur taz auf Anfrage: „Im Grunde haben die Gefangenen nicht so unrecht.“ Er machte die Überbelegung für steigende Selbstmordzahlen und Bambule verantwortlich. Zu den Widersprüchen in der Statistik sagte er: „Wir haben keine Leichen verschwinden lassen.“ Er vermute, daß in einem der beiden Zahlenwerke auch diejenigen Gefangenen aufgelistet gewesen seien, die sich außerhalb der Vollzugsanstalt umgebracht hätten. In Einrichtungen, in denen es intensive Betreuung und kleine Gefangenenwohngruppen gebe, sinke die Selbstmordrate signifikant.

Die Gefangenenhilfsorganisation „Phönix“ ruft für den 12. September alle hessischen Gefangenen zu einem dreitägigen „Mahnfasten“ auf.