Polofahrender Puppenspieler

■ Neu im taz-Culture-Club: Detlef Heinichen, Puppenspieler, Einmann-Kraftwerk

hierhin den Mann

zwischen Puppen

Ehrlich gesagt: Ich hab‘ mir einen Puppenspieler immer anders vorgestellt. Ich gebe zu, daß diese Vorstellung von einer Art possierlich posamentigem Samtmantel-Mondmann handelte. Der also mit diesem Mantel dramatisch um Ecken weht, um seine Puppen nicht so lange auf sich warten zu lassen; und die sind ihm selbstverständlich Ersatz für ein Leben draußen bei den Menschen in Kummerland. Behütet wird so einer von Kopfbedeckungen und hat direkte Drähte zu Sonnemondundsternen, eher zu Mondundsternen. Natürlich hält so einer Zwiesprache mit seinen Geschöpfen und erhält Antworten, von denen meinereins nur träumt.

Eben. Fährt so einer Polo? Und trägt helle Sporthosen und Sweater? Und surft wie ein junger Hecht durch sein Minitheater, als wär's keine Räuber-und-Gendarm-Höhle? Und ist so einer eine Mischung aus Brummkreisel und Stand-Bär? Nein! Doch!

Detlef Heinichen ist so. Also: Wunsch der kindlichen Einfaltspinselin - fahr‘ zur Hölle. Mitsamt Gendarmen und Räubern, und meinetwegen auch mit Hans und Gretel und Großmutter und dem ganzen kasperlinen Gesocks. Der Puppenspieler ist nämlich eine vitale Plaudertasche aus dem sächsischen Diesseits. Na sowas. Eilt der erschütterten Besucherin klingelnd vor Schlüsseln durch die engen Packhaus -Treppen voraus wie ein Springengel und hebt oben im Theatrium-Dach einen Stuhl von links nach rechts aus dem Bürochen ins Back-Stagelein; ich aber bleibe im Mantel und stehen vor lauter Kucken und flirte versuchsweise

mit dem Strohhutpianisten. Der kuckt stur geradeaus, du Marionette du, Gefangene deiner Fäden. Bis Detlef Heinichen das Kreuz nimmt, an dem der Kleine hängt, und da fängt er auf einmal an zu spielen, und steppen kann er auch klackidiklackidiklack - und lacht dabei fortwährend dreckig. Die paillettenbusige Seiltänzerin unter der Decke pendelt hochnäsig zwischen Verachtung und Neugierde. Der glatzige Gewichtheber lebt dagegen ganz seiner silbernen Hantel, die hebt er, als wär's ein Fliegengewicht. Ist es auch, ist es auch!

Eine schöne Gesellschaft ist das hier auf dem Dachboden. Da möchte man mithängen oder doch wenigstens lange bleiben und immer nur was vorgemacht kriegen und sich auf eine Kiste setzen und tut das auch. Und läßt sich rühren, wie Detlef Heinichen, Puppenspieler, seine Figuren liebt; auch ohne Samtmantel. Eine Antenne für die Dinge zwischen Sonne, Mond und Sternen hat er nämlich doch, aber keine für Hans und Gretel, die blöde Kuh. Punch und Judy, die Pendant -Engländer, sind ihm tausendundeinmal lieber, weil die ebenbürtig bösartig sind, und witzig. Und da eskaliert der Witz nicht mit der Überzieher-Pritsche auf den Kopf und rumms - die Kasperle-ist-wieder-da-trullala-Masche. Überhaupt - das mit dem Kasper, jener Verkehrswachtsaubermann und Zweckspielhandlanger! Der doch mal eine politische Figur war! Den Mächtigen was an die hierhin Mann mit Händen

in Hosentasche

Löffel gab und nicht irgendwelchen hergelaufenen Krokodilen!

Warum spielt er uns nicht mal Punch und Judy vor? Hat er doch, hat er doch! Auf irgendeiner Breminale. Und was haben die lieben Großen gesagt? „Unsere Kinder sollen nicht beunruhigt werden“, haben die gesagt. Das sind eben die Suppeneltern zum Kasper. Unreif für Blödsinn. Sind das die Leute, mit denen seine Marionetten nicht verkehren dürfen? Ach Gott, die Leute wollen halt diesen geheimnisumwitterten, leicht angezauberten Magier, das wird dem Puppenspieler gerne nachgesagt, sagt Herr Heinichen und verzeiht. Gottja, so sind die Leute.

Frage gestrichen, ob er denn mit seinen Puppen spreche; und

einsam ist er auch nicht, sondern kennt das Leben und seine Frau und die zwei Kinder gut. Ja, manchmal ist das mit seinen Puppen schon „eine intime Geschichte“, aber schließlich ist er Diplompuppenspieler. Richtig, sowas gibt's nur in der DDR damals immerhin einem Land der 16 großen, staatlichen Puppenbühnen. Naja, sehr lustig war's da ja nicht; als ein Freund von Heinichen rübergemacht ist, sind alle seine befreundeten Daheimgebliebenen in den Knast gekommen, auch Heinichen, der war aber vorher schon durch unlauteres Reden aufgefallen. Lange vor dem Mauerdurchbruch ist er gekommen, undjetzt ist er hier, ein bisher ungehobener Bremer Schatz auf ABM-Stelle. Untergeben einmal pro Monat einem Packhaus-Vorstand mit solchen Figuren wie Herrn Sparkassen-Nölle, Herrn Medien-Fluß, Herrn Kultursenat -Opper, Herrn Bausenator-a.D.-Seifritz, die ihr Puppenspielwissen wahrscheinlich von der Augsburger Puppenkiste beziehen, Gott hab sie selig.

Klammheimlich war Jim Henson der Große schon in Bremen, genialer Puppenguru from the USA, und wollte - kurz vor seinem Tod - über Heinichen einen Film drehen, über jenen also, der nicht mal sagen kann, ob seine ABM-Stelle im November endlich in eine Feststelle mündet. So ist das in Bremen. Seit gut drei Jahren führt Heinichen sein Puppentheater, zuerst zu zwein, jetzt allein, bekommt Einladungen nach Japan, lernt „Hase & Igel“ auf japanisch, spielt die japanische Fassung auch in der deutschen Botschaft und lacht sich einen Ast ab, daß er einfach vergessen hat, deutsch zu spielen vor lauter deutschen Botschaftsangehörigen. Warum spielt er eigentlich mit Puppen? Weil man damit viel mehr sagen kann als mit Menschen. Und dann macht seine linke Hand, die von Herzen kommt, vor, wie man als Hand eines Puppenspielers schlängeln können muß, damit es nicht nach hoppeln aussieht. Solche nichthoppelnden Schlangen sieht man selten. Claudia Kohlhas