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Berliner Senat gegen „Münchener Theaterdonner“

■ Innenstaatssekretär Detlef Borrmann (SPD) vor der heutigen Länderkonferenz zur Asylpolitik / Absage an Lafontaine: „Wir sind an den Flüchtlingen nicht zugrunde gegangen“ / Aber: Beschleunigtes Verfahren gegen Polen „angemessene Reaktion“

INTERVIEW

taz: Die bayerische Landesregierung hat angedroht, AsylbewerberInnen aus SPD-regierten Bundesländern in Zukunft nicht mehr aufzunehmen - besonders Berlin wäre davon betroffen. Haben Sie mit den Verantwortlichen in München schon telefoniert?

Detlef Borrmann: Nein. Man kann das nur als Theaterdonner bezeichnen, was da aus München gekommen ist. Das ist eine ziemlich absurde Situation: Ein Bundesland wie Bayern, das sonst ständig auf die Bundestreue pocht, droht jetzt den anderen Bundesländern: „Wir machen nicht mehr mit, wenn ihr unseren Wünschen hinsichtlich einer Verfassungsänderung nicht folgt.“ Das ist doch unmöglich.

Bei der heutigen Konferenz der Innenstaatssekretäre will Hessen einen „Sechspunkteplan“ vorschlagen, nach dem unter anderem Asylanträge, die nicht innerhalb von zwei Wochen nach der Ankunft gestellt werden, gar nicht erst berücksichtigen werden sollen. Stoiber will die Visabestimmungen verschärfen und, wenn möglich, Menschen aus bestimmten Ländern nur noch mit Zustimmung der Behörden einreisen lassen. Trifft das bei Ihnen auf ein offenes Ohr?

Ich bin seit anderthalb Jahren im Amt, und solche Vorschläge wie die hessischen sind schon mehrmals auf der Innenministerkonferenz diskutiert und verworfen worden, weil sie nichts bringen. Anders ist das bei der Frage der Einreisemöglichkeiten. Wenn man von vorneherein sagt, wir lassen gar keinen mehr rein, dann wird das die Zahl der Asylbewerber natürlich senken. Aber dann muß man sich auch fragen, was vom Asylrecht übrigbleibt, wenn man den Menschen die Möglichkeit, es wahrzunehmen, nimmt.

Warum hat sich der rot-grüne Senat zum Vorstoß Oskar Lafontaines noch nicht geäußert, das Grundgesetz zu ändern?

Die Aussagen eines Kanzlerkandidaten müssen ja nicht gleich die Landesregierungen zu Stellungnahmen veranlassen. Was Lafontaine gesagt hat, drückt durchaus eine ernste Sorge aus. Für den Senat ist allerdings klar, daß eine Änderung von Artikel 16 nicht in Betracht kommt.

Die CDU in Bonn schlägt nun ein Gremium vor, das entscheiden soll, in welchen Ländern es keine politische Verfolgung mehr gibt. Es gibt 151 Länder auf dieser Erde, in 138 werden laut amnesty international die Menschenrechte auf verschiedene Weise verletzt. Welcher Nation würden Sie denn einen solchen Persilschein austellen?

Ich will gar nicht sagen, daß das generell nicht möglich wäre. Angesichts der Situation in Polen wäre es zum Beispiel denkbar, diesem Land einen solchen Persilschein auszustellen. Als sich in Berlin die Zahl der polnischen Asylbewerber stark erhöhte und sich die Situation in Polen gleichzeitig liberalisierte, haben wir das Verfahren beschleunigt. Das halte ich für eine durchaus angemessene Reaktion. Aber natürlich liegt die Lösung der Probleme nicht in der Schaffung eines solchen Gremiums. In die Mehrzahl der Herkunftsländer haben wir sicher keinen so guten Einblick und die bieten durchaus keine Gewähr für eine einwandfreie Achtung der Menschenrechte.

Die steigende Zahl der Asylanträge von Polen hing sicher nicht mit einer vermeintlichen Verfolgung in Polen zusammen, aber sehr wohl mit der Tatsache, daß ihnen alternative aufenthaltsrechtliche Möglichkeiten genommen wurden und ihnen gar nichts anderes übrigblieb, als Asyl zu beantragen.

Ich habe etwas dagegen, wenn das Asylverfahren für asylfremde Zwecke benutzt wird. Die Frage der Einreise- und Arbeitsmöglichkeiten ist auf anderem Wege zu lösen.

Berlin wird in den nächsten Jahren zweifellos im Mittelpunkt dieser Zu- und Einwanderung stehen. Wo bleiben vorausschauende Konzepte oder Ansätze des Senats? Warum hat sich der Senat zu diesem Thema nicht schon längst ExpertInnen aus Berlin und anderen europäischen Großstädten herangezogen?

Es ist schon ein Konzept, wenn man sich vornimmt, Asylbewerber menschenwürdig unterzubringen. Aber es ist sicher an der Zeit, eine internationale Diskussion der Frage der Freizügigkeit zu beginnen. Die darf dann nicht nur die Frage des Ortswechsels betreffen, sondern auch die Frage der Arbeitsaufnahme.

Gerade bei der Gruppe der Roma ist unbestritten, daß diesen Flüchtlingen mit dem bundesdeutschen Asylverfahren überhaupt nicht gedient ist. Gibt es Erwägungen in Berlin, ähnlich Nordrhein-Westfalen, ein Bleiberecht für Roma einzuführen?

Nein. Zum Teil wollen die Betreffenden auch gar nicht bleiben. Daß das Asylverfahren für diese Menschen nicht geeignet ist, ist mir auch klar. Eine Alternative zu finden ist jedoch schwierig.

Für die einen ist „das Boot voll“, die anderen sprechen verklausulierter von einer begrenzten Aufnahmekapazität. Ist die Grenze in Berlin erreicht?

Wenn Turnhallen belegt werden müssen, ist die Aufnahmekapazität überschritten. Auch in bezug auf die Finanzen läßt sich die Unterstützung für Asylbewerber nicht unbegrenzt finanzieren. Andererseits zeigt ein Blick in die Vergangenheit, daß die Bundesrepublik die Probleme durch eine wachsende Zahl von Asylbewerbern immer bewältigt hat. Wir sind daran nun wirklich nicht zugrunde gegangen. Deshalb gibt es keine feste Grenze für eine Aufnahmekapazität.

Interview: anb

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