Ost-Berlin: Debatte um leere Kassen

■ Ost-Berlins Stadtrat für Finanzen, Bernd Fritzsche, ist unwohl angesichts der Haushaltslage seiner Stadt / Erste Lesung des Haushaltsgesetzes für das zweite Halbjahr im Roten Rathaus

Ost-Berlin. Ost-Berlin steckt finanziell im „Zwangskorsett“. Bei der ersten Lesung des Haushaltsentwurfs für das zweite Halbjahr 1990 in der Stadtverordnetenversammlung ließ Finanzstadtrat Bernd Fritzsche am Mittwoch abend während einer Debatte im Roten Rathaus sein Unwohlsein deutlich erkennen - der Entwurf sei keineswegs am Bedarf orientiert.

„Ausgabenbedürfnisse“ in Höhe von 1,5 Milliarden Mark mußte der Magistrat zurückstellen. 3,26 Milliarden Mark beträgt der Gesamtetat, nur 10 Prozent davon kann der Magistrat aus eigenen Einnahmen bereitstellen. Dadurch sei Ost-Berlin von den übrigen 90 Prozent (2,9 Milliarden Mark) Zuweisungen aus dem Regierungshaushalt „völlig abhängig“. Auch auf die Planung selbst habe das Finanzministerium mit „dirigistischen zentralstaatlichen Vorgaben“ Einfluß genommen.

Die schwere Hypothek „40 Jahre SED-Wirtschaft“, die Einschränkungen des Staatsvertrages (keine Kreditaufnahme für Kommunen, Vereinnahmung aller wichtigen Steuern durch die Regierung, Halbierung der Investitionsmittel) lasten auf dem neuen Haushalt. Hinzu kamen noch die Kürzungen im Zentralhaushalt, die Ost-Berlins Finanzen um 185 Millionen DM beschnitten.

Der vorgelegte Entwurf setze die Schwerpunkte auf Investitionen und Werterhaltung (mit einem Drittel der Ausgaben), auf die Erfüllung der sozialen Verpflichtungen und auf die Funktionsfähigkeit Verwaltung. Damit steht das dringende Problem „Wohnraum“ auch in der Finanzplanung an oberster Stelle. Einige tausend Wohnungen sollen noch in diesem Jahr fertiggestellt werden (50.000 Wohnungen fehlen). Um auch die dazugehörige Infrastruktur auszubauen, sind nach Fritzsches Angaben zusätzliche Gelder aus dem Republikhaushalt nötig. Für die Instandhaltung, Instandsetzung, Modernisierung und Bewirtschaftung von Wohnungen werden den Wohnungsbaugesellschaften und -genossenschaften 603,7 Millionen Mark zugebilligt. Angesichts der Geldknappheit sei es „nur für eine Übergangszeit“ vertretbar, daß die Mieten nur teilweise die Bewirtschaftungskosten decken, meinte Fritzsche. Diese Subventionen sollten „schrittweise abgebaut“ werden, allerdings bei gleichzeitigem Aufbau eines Wohngeld -Systems.

In der Diskussion richteten mehrere Abgeordnete ihre Kritik gegen die zu gering berechnete Förderung der Wirtschaft. Helmut Pöltelt (Bündnis 90) hielt eine Million Mark zur Förderung mittelständischer Unternehmen für „äußerst unzureichend“. Winfried Hampel (Liberale/DSU) hätte die halbe Million Mark zur Unterstützung von Hotels lieber in Produktwerbung und -design der Berliner Betriebe hineinfließen lassen. Andere Kritikpunkte sind: die „viel zu kleingehaltenen“ Bezirksämter, wie es Günter Pfitzmann (CDU) ausdrückte, und: das den Sportschulen zugebilligte Geld in Höhe von 1,5 Millionen Mark, monierte die Fraktion Liberale/DSU.

Schließlich ging es den Abgeordneten noch um die Frage, wie mit dem Entwurf zu verfahren sei: erst in alle Ausschüsse, dann in den federführenden Ausschuß „Haushalt“ oder gleich in den Ausschuß „Haushalt“, in dem die anderen Ausschußvorsitzenden Rederecht hätten. Die Fraktionen Bündnis 90/Grüne/UFV und PDS hätten der ersten Variante den Vorzug gegeben, um die vielen Probleme gebührend diskutieren zu können. Die übrigen Fraktionen wollten lieber eine rasche zweite Lesung und entschieden sich mehrheitlich für Variante zwei.

su