Stichtag 3.10. - wer regiert Berlin?

■ Beide Stadtregierungen und -parlamente sollen bis zum 2. Dezember weiter bestehen / Genaue Regelungen im zweiten Staatsvertrag / Heftiger Streit zwischen SPD und CDU über die Kompetenzen der Ostberliner Verfassungsorgane

Berlin. Wer regiert das Land Berlin, und wer kontrolliert diese Regierung nach dem Beitritt der DDR am 3. Oktober? Nach der nächtlichen Entscheidung der DDR -Volkskammer entsteht für Berlin, das ab dem 3. Oktober staatsrechtlich als ein Stadtstaat angesehen wird, ein verfassungsrechtliches Vakuum, für das bislang keine konkreten Regelungen existieren. Schon im Vorfeld der Entscheidung hatte man sich in Ost- und West-Berlin gemeinsam und getrennt über dieses Problem gestritten, gestern erhitzte es die Gemüter erneut. Die Lösung wird vermutlich im Einigungsvertrag niedergeschrieben werden - so er denn zustande kommt. Wie der Westberliner Innensenator Erich Pätzold (SPD) gestern in der gemeinsamen Sitzung der beiden Parlamentsausschüsse für die Einheit Berlins ausführte, ist dieses Problem bereits am Mittwoch in den deutsch-deutschen Verhandlungen in Bonn erörtert worden. Im Vertrag soll festgeschrieben werden, daß Senat und Magistrat bis zu den Wahlen am 2.Dezember gemeinsam die Aufgaben einer Berliner Landesregierung wahrnehmen. In Ost-Berlin geltendes DDR-Recht soll weiterhin in Kraft bleiben, soweit es mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Wenn es zu einer solchen Regelung kommt, bedeutet das, daß auch die beiden Berliner Parlamente weiter existieren und die Ostberliner Verfassung bis zur konstituierenden Sitzung des neuen Gesamtberliner Parlaments in Kraft bleibt.

Um die Frage der Gültigkeit der beiden Berliner Verfassungen entbrannte gestern im Einheitsausschuß ein heftiger Streit. Zur Frage der Gültigkeit der Westberliner Verfassung für das Gebiet von Ost-Berlin gibt es zwischen den Parteien unterschiedliche Rechtspositionen, der Kern des Problems ist jedoch ein politischer: Wird mit Ost-Berlin der Anschluß praktiziert oder behandelt man es als halbwegs gleichberechtigtes Gebilde? Die CDU neigt zur ersten Variante: Am Vortag hatte die Westberliner CDU empfohlen, daß beide Stadtparlamente am Tag des Beitritts ihre Tätigkeit gänzlich einstellen und der Magistrat nur noch Verwaltungskompetenzen ausüben dürfe. Im Ausschuß stieß diese Position auf heftigen Widerspruch, obwohl sie gestern nur noch in modifizierter Form vertreten wurde: der Westberliner CDU-Chef Eberhard Diepgen war gestern plötzlich dafür, daß keine Entscheidungen mehr getroffen werden dürften, „die unmittelbar die Bürger betreffen“.

Die SPD konterte heftig: Die Fraktionschefs aus Ost und West, Knut Herbst und Ditmar Staffelt, fanden die Vorschläge der CDU „indiskutabel“. Herbst vertrat die Auffassung, daß beide Parlamente gleichberechtigt nebeneinander existieren sollen und schlug vor, daß der Einheitsausschuß als koordinierendes Gremium dafür sorgen solle, daß möglichst gleichlautende Beschlüsse gefaßt würden. „Alles andere ist eine Kastrierung der Parlamente.“ Es gebe eine Fülle von Problemen, gerade in Ost-Berlin, für die gesetzliche Regelungen notwendig seien. „Es ist völlig unmöglich, daß die Parlamente der Exekutive allein das Feld überlassen“, erregte sich Staffelt. „Das politische Leben darf nicht zum Stillstand kommen“, und auch die Kontrollfunktion der Parlamente müßte aufrechterhalten werden. Auch die AL zog am gleichen Strang: „Ferien kommen für uns nicht in Frage“, so die Fraktionsvorsitzende Renate Künast. Gerade in den Zeiten der deutsch-deutschen Einigung läge ohnehin viel zuviel Gewicht bei der Exekutive.

Zu Wort meldete sich gestern natürlich auch der Regierende Bürgermeister: Er bekräftigte die Linie des Senats, daß die Stadt bis zu den Wahlen von Senat und Magistrat, gemeinsam regiert werden solle. „Parlament und Regierung in Berlin sind voll funktionsfähig und können die Übergangszeit bis zu Neuwahlen am 2. Dezember gut bewältigen“, wiegelte Momper alle Bedenken ab.

kd Siehe Umfrage auf Seite 28