Allah bittet zur Kasse

■ In Großbritannien wurde das Verbot des Anti-Rushdie-Streifens „International Guerillas“ aufgehoben / Ahmad Taheri bedauert dies

ESSAY

Zuerst war es die Politik, die das muslimische Blut gegen Salman Rushdie in Wallung brachte. Ayatollah Chomeini benötigte ein ideologisches Opfer, um von der Schmach im Krieg gegen das irakische Nachbarland abzulenken. Jetzt sind die Geschäftemacher an der Reihe. In Pakistan wird der islamische Eifer in Rupies, der Landeswährung, umgemünzt: der Anti-Rushdie-Film ist ein Kassenschlager am Indus.

Das Wechsel- und Zusammenspiel von Religion, Politik und Geschäft im Islam ist so alt, wie die islamische Geschichte selbst. Mohammed war nicht nur der Verkünder einer neuen göttlichen Botschaft, sondern Gründer und Haupt eines theokratischen Staates und Verwalter des muslimischen Eigentums. So spielten auch bei der Verfolgung der ersten Apostaten im Islam Politik und Finanzen eine wichtige Rolle.

Gleich nach dem Tod der Propheten fiel eine Reihe islamischer Stämme vom Islam ab, wozu Mohammed sie noch mit göttlicher Zunge überredet hatte. Sie weigerten sich, die Zakat, die islamische Steuer, zu entrichten - kein Geld für einen toten Propheten. „Wäre Mohammed ein Prophet, so wäre er nicht gestorben“, hieß die Begründung. Die Parole barg eine gefährliche Konsequenz - Wenn schon Mohammed kein Prophet war, dann konnten seine Erben erst recht nicht Nachfolger eines Propheten sein. Wurde Mohammed als Schwindler betrachtet, dann verlor auch seine Staatsgründung jegliche Legitimation.

Abubakr, der Nachfolger des Propheten, griff zum Schwert: Die Abtrünnigen wurden bis zum letzten Mann niedergemacht und ihr Eigentum den Moslems als Beute freigegeben. Diese Episode - und nicht etwa der Koran - ist die Richtschnur für den Umgang mit der Apostasie. Die Scharia, das islamische Recht, fordert für den Abfall von der Religion die Todesstrafe. Die theologische Begründung dafür ist von entwaffnender Einfachheit: Der Islam ist die Vollendung der vorangegangenen Offenbarungsreligionen und Mohammed ist das „Siegel des Prophetentums“. Damit ist er der Verkünder der absoluten Wahrheit.

Ein Christ oder ein Jude kann nichts für seinen Irrtum, aber ein Moslem, der von der Religion abfällt, nachdem er die vollendete Wahrheit erblickt hat, ist ein wissentlicher Verräter an Gott, dem Propheten und mithin gemeingefährlich für den Bestand der islamischen Gemeinschaft.

Doch die Handhabung der Blasphemie, der Häresie oder der Apostasie war im Islam stets eine pragmatische Frage. Solange der Zweifel an göttlichen Wahrheiten auf intellektuelle Kreise beschränkt blieb, ließ man die Delinquenten mehr oder weniger in Ruhe.

Der Zweifel an religiösen Dogmen, an den heilsgeschichtlichen Gewißheiten oder an den islamischen Ge und Verboten war stets ein tolerierter Bestandteil der islamischen Geisteshaltung.

So stand etwa „Der jüngste Tag“ eine deftige und freche Persiflage der islamischen Eschathologie, die in den 40er und 50er Jahren im Iran ein Renner war, in vielen moslemischen Häusern in den Bücherregalen. Manch frommer Moslem brach in Gelächter aus und amüsierte sich prächtig bei der Lektüre blasphemischer Werke. Niemand, auch nicht den Mullahs kam es in den Sinn, das Buch zu verreißen oder zu verbrennen und dessen Autor als Apostaten an den Pranger zu stellen. Mohamad Ali Djmaljach, so heißt der Verfasser, ist noch am Leben, und flaniert, 90jährig, täglich am Genfer See.

Selbst im tiefen Mittelalter, als in den Ländern der Christenheit täglich Dutzende von Sektierern, Häretikern und „Hexen“ den reinigenden Flammen übergeben wurden, sang der persische Mathematiker und Dichter Omar Chayyam vom Lob des Zweifels: „Hölle? Paradies? Wer kehrte vom Jenseits zurück, um uns davon zu berichten?“ Chayyam starb hochbetagt eines natürlichen Todes. Seine Gedichte werden heute überall in der islamischen Welt gedruckt und gelesen. Und auch der Ayatollah Chomeini verbrachte seine einsamen Nächte im irakischen Exil mit den antiklerikal-anakreontischen Sonetten des berühmten persischen Dichters des Mittelalters, Hafis.

Theologisch berief sich derartige Toleranz auf Gottes Barmherzigkeit, das vornehmste aller hundert Attribute Allahs. Seit der Islam zum Islamismus, zu einer politischen Ideologie, geworden ist, ist Allah nicht mehr Rahim, der Erbarmer, sondern Qaher, der Gewaltige, ja der Gewaltsame. Der fundamentalistische Gott ist rachesüchtig, jähzornig und gewalttätig. Wer es wagt, ihn zu necken, den läßt Allah von Menschenhand oder durch die Naturkräfte totschlagen, wie den Autor der Satanischen Verse in dem pakistanischen Streifen.

Bedauerlich, daß das Verbot des Films „International Guerillas“ in England aufgehoben wurde. Doch nicht etwa, weil der Film Haß und Gewalt sät oder antisemitisch ist davon gibt es täglich eine Menge in meinen 19 TV-Kanälen. Vielmehr, weil das primitive Machwerk dem Ansehen des Islam schadet, mit dessen kulturellem Erbe ich, obwohl ein bekennender Atheist, tief verbunden bin.

Ahmad Taheri

Der iranische Autor lebt in Frankfurt