Sozialrecht vereinigt - Soziale Sicherung getrennt

■ Die Sozialversicherungssysteme der BRD und der DDR sollen auf unbefristete Zeit getrennt bleiben / Dagegen wird keine der in der DDR günstigeren sozialpolitischen Regelungen übernommen / Betroffen sind vor allem die Frauen

Berlin (taz) - Keine der für Frauen günstigen sozialpolitischen Regelungen der DDR wird bei der Vereinigung der beiden deutschen Staaten übernommen. Darauf hat sich die Bonner Koalition inzwischen verständigt. Nur bei den kostenträchtigen Systemen der Sozialversicherung soll weiterhin getrennt verfahren werden.Die zuständigen Bonner Koalitionspolitiker einigten sich darauf, die Sozialversicherungssysteme (Arbeitsverwaltung, Rentenversicherung, Krankenversicherung) der Bundesrepublik und der DDR organisatorisch und finanziell auf unbefristete Zeit getrennt zu belassen. Damit steht fest, daß es bis auf weiteres keine Angleichung in den sozialpolitischen Leistungen zwischen der Bundesrepublik und der DDR geben wird. Vor allem soll verhindert werden, daß die Defizite der DDR-Sozialversicherungen aus dem Beitragsaufkommen der westdeutschen Versicherungsnehmer beglichen werden, was Beitragserhöhungen zur Folge hätte. Die ins Haus stehenden Milliardendefizite müßten zwar irgendwie aus dem Bonner Haushalt beglichen werden. Aber das Ministerium Blüm geht davon aus, daß hier nicht das Sozialressort, sondern der Finanzminister gefragt ist.

In bezug auf die Rentenversicherung der DDR geht man davon aus, daß das Defizit sich vorerst in Grenzen halten wird. Bei der Krankenversicherung dagegen versucht man, die Kostenexplosion durch andere Maßnahmen zu verhindern. Auf Basis des Beitragssatzes von 12,8 Prozent (vom Bruttolohn) sollen die DDR-Krankenversicherungen mit den Ärztevereinigungen und anderen Leistungsanbietern Verträge abschließen. Danach sollen beispielsweise die Arzthonorare in der DDR deutlich niedriger liegen als im Bundesgebiet. Die westdeutsche Pharmaindustrie soll sich darauf festlegen, den Abgabepreis für ihre Medikamente in der DDR zunächst auf 40 Prozent abzusenken. Auch die Kriegsopferversorgung, die jetzt in der DDR eingeführt wird, soll 40 Prozent des bundesdeutschen Niveaus betragen.

Wann die Trennung der Sozialversicherungssysteme und damit die Leistungsungleichheit zwischen BRD- und DDR-Gebiet aufgehoben wird, will die Bonner Koalition offenlassen. Kriterium ist die Entwicklung des Lohnniveaus. Wenn die Löhne sich angeglichen haben, soll es auch für die Sozialversicherungen gleiche Bemessungsgrunsätze geben. Man rechnet mit einer Frist von fünf bis sieben Jahren.

Bei den arbeitsrechtlichen Regelungen zugunsten von Frauen hat sich die Koalition offenbar auf den Standpunkt gestellt, in der BRD stehe bereits alles zum besten. Wie die taz erfuhr, soll nicht eine einzige Bestimmung des noch geltenden diesbezüglichen DDR-Rechts die Einigung überleben. Nicht nur, daß das gesetzlich fixierte Recht auf einen Kindergartenplatz entfallen soll. Auch die in der DDR günstigeren Regelungen zum Vorruhestand oder zur Freistellung bei Krankheit der Kinder oder zum Erzierungsurlaub werden auf BRD-Niveau abgesenkt.

Martin Kempe