SPD will „Wohnortprinzip“ kippen

■ SPD-Fraktion brachte Entschließungsantrag gegen gespaltenes Abtreibungsrecht im Bundestag ein / Auf heutiger Sondersitzung namentliche Abstimmung / SPD hofft auf abtrünnige FDPlerInnen

Berlin (taz/dpa/afp) - Einen „Aufstand der Frauen“ gegen das von den Bonner Koalitionsparteien vereinbarte gespaltene Abtreibungsrecht erhofft sich SPD-Chef Hans-Jochen Vogel. Seine Partei brachte gestern einen Entschließungsantrag in den Bundestag ein mit dem Ziel, die jetzige Koalitionsvereinbarung über das „Wohnortprinzip“ bei der Strafbarkeit von Abtreibungen zu kippen. Die SPD beantragte namentliche Abstimmung über diesen Antrag in der Hoffnung, mit den Stimmen der Grünen und derjenigen FDPlerInnen, die ihr Gewissen über die Koalitionsdisziplin stellen, eine Mehrheit zu bekommen. Für den Fall, daß die Unionsmehrheit die Behandlung des Antrags ablehnt, kündigte die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Herta Däubler -Gmelin für heute eine Sondersitzung des Bundestages an, auf der der Antrag abgestimmt werden soll.

Die SPD-Abgeordnete Renate Schmidt sagte, daß noch vor Abschluß der Verhandlungen über den Einigungsvertrag am kommenden Freitag ein „Sturm der Empörung“ entfacht werden müsse.

SPD-Chef Vogel nannte die Koalitionsvereinbarung eine „Regelung aus dem Tollhaus“ und fand es „unmöglich“, daß Abtreibungsfragen immer von Männern entschieden würden. Bei dem Koalitionsgespräch waren nämlich nur zwei Frauen dabei gewesen. „Ist schon einer auf den Gedanken gekommen, so etwas mit Männern zu machen?“ fragte Vogel rhetorisch. Er ging so weit, die Frauen im Land darauf aufmerksam zu machen, daß sie die Mehrheit der Bevölkerung stellten und es sich nicht länger gefallen lassen sollten, daß „sechs Männer im Kanzleramt“ in völlig absurder Weise über ihre Interessen hinweggingen.

Als „gottsjämmerlich“ bezeichnete Vogel die Rolle des FDP -Vorsitzenden Otto Graf Lambsdorff, der entgegen vielfacher Beschlüsse und Bekundungen seiner Partei wieder den Unionsforderungen erlegen sei. Der „Umfall der FDP“ in dieser Frage sei „inakzepta bel“.

Die FDP setzt jetzt in der Abtreibungsfrage auf die SPD -Mehrheit im Bundesrat, nachdem sie sich innerhalb der Koalition nicht durchsetzen konnte. „Ich wünsche sehr, daß sich die SPD im Bundesrat durchsetzt“, sagte die stellvertretende FDP-Vorsitzende Irmgard Adam-Schwaetzer gestern. Die gescheiterte FDP-Politikerin wies allerdings Vorwürfe zurück, ihre Partei sei umgefallen. „Inhaltlich“ sei die FDP von ihrer Position „um keinen Millimeter abgewichen“, so ihre Interpretation. Jetzt gehe es darum, den Schaden zu begrenzen und innerhalb der nächsten zwei Jahre im gesamten Deutschland die Fristenlösung mit Beratung durchzusetzen. Bei der Abstimmung im Bundestag solle jedeR Abgeordnete nach seinem/ihrem Gewissen entscheiden.

Unklar ist, ob die Grünen weiterhin an ihrer Forderung nach einer ersatzlosen Streichung des § 218 festhalten oder sich für eine Gesetzesinitiative für die Fristenlösung einsetzen werden. Fraktionssprecherin Antje Vollmer meinte, es gebe nach Beitritt der DDR im gesamt deutschen Parlament gute Chancen, eine Fristenregelung mit frei williger Beratung zu verabschie den.

uhe