„An eine Öko-Wende glaube ich nicht mehr“

■ Mathias Platzeck, Parlamentarischer Geschäftsführer der Fraktion Bündnis 90/Grüne, über die DDR-Umweltpolitik

INTERVIEW

taz: Herr Platzeck, gibt es zur Zeit eigentlich noch eine DDR-Umweltpolitik, oder hat Bonn schon das Kommando übernommen?

Mathias Platzeck: Ich sehe im Moment keine eigenständige DDR-Umweltpolitik mehr, und ich halte das auch nicht für möglich. Umweltpolitik kostet Geld, und Geld kommt ausschließlich von Bonn. Warum sollten wir auch jetzt noch eine eigene DDR-Umweltstrategie entwickeln, wo in ein paar Monaten ohnehin definitiv Schluß ist. Was im Moment hier abläuft, ist sozusagen Töpfer in abgeschwächter Form.

Die bundesdeutschen Umweltstandards sollen ja künftig mit einigen Ausnahmen auch in der DDR gelten. Sind Politiker und Behörden denn überhaupt in der Lage, die Einhaltung dieser Gesetze zu gewährleisten?

Nicht mal annähernd. Was wir jetzt an Umweltrecht aus der Bundesrepublik übernommen haben, ist teilweise antiquiert, und selbst dieses teilweise antiquierte Recht ist in der DDR nicht durchsetzungsfähig, ganz abgesehen davon, daß die ökologischen Verhältnisse wesentlich katastrophaler sind, als selbst die Umweltbewegung je gedacht hat. Südlich der Linie Magdeburg-Berlin-Frankfurt/Oder schließt sich ein Katastrophengebiet an das andere an. Wir haben im Umweltbereich auch nie einen Personalbestand aufbauen können, der sach- und fachkundig ist. Das ist ja bewußt verhindert worden. Und viele der vorhandenen Fachleute besonders in den höheren Ebenen - waren straffe SED-Kader und stehen jetzt zum Teil nicht mehr zur Verfügung. Außerdem haben die Behörden in den Städten und Kreisen die Gesetze bis heute noch gar nicht vorliegen.

Ist zu befürchten, daß neue Umweltprobleme auf die DDR zukommen, beispielsweise durch veränderte Konsumgewohnheiten?

Das ist ja das Schlimme. Unsere gravierenden Probleme werden in den nächsten Jahren wohl nicht gelöst, auch wenn sich einiges verbessern wird. Und die neuen Probleme zeichnen sich schon ab. Wir haben im Moment eine totale Müllkatastrophe. Die Müllcontainer, die früher eine Woche gereicht haben, quellen jetzt nach drei Tagen über, voll mit Bierdosen, Plaste-Joghurtbechern und ähnlichem. Das andere kann man insbesondere in der Umgebung von Berlin beobachten: eine Autolawine, die auch für unsere Stadtplaner nicht vorstellbar war.

Gab es nach der Wende im Herbst vergangenen Jahres eine Chance, daß die DDR in der Umweltpolitik einen Weg einschlägt, der sich nicht ausschließlich an der Bundesrepublik orientiert; eine Chance für eine echte ökologische Neuorientierung?

Diese Hoffnung auf den sogenannten dritten Weg habe ich nie gehabt. Ich hatte allerdings gehofft, daß wir mehr Zeit bekommen, daß wir den bundesdeutschen Weg, wie er in den letzten vierzig Jahren gegangen worden ist, vielleicht nicht Schritt für Schritt nachgehen werden. Unterschätzt haben wir dabei den Drang nach vermeintlich entgangenem Lebensgenuß, etwa vier Farbfernseher in der Wohnung zu haben oder Bier aus Büchsen zu trinken. Vielleicht sind viele DDR-Bürger aber auch so verbildet, daß sie gar nicht mehr wissen, wie eine gesunde, intakte Umwelt eigentlich aussieht. Und die politisch Verantwortlichen tragen nichts dazu bei, daß die Umweltprobleme wieder thematisiert werden.

Gibt es etwas an der DDR-Umweltpolitik vor dem Herbst '89, das erhaltenswert gewesen wäre?

Das Sekundärrohstoff-System war sicherlich gut, weil es in den Leuten die Haltung erzeugt hat, Zeitungen, Flaschen und so weiter nicht wegzuwerfen. Es war auch eine gute Sache, daß es den Autoverkehr nicht in dem Maße gegeben hat. Man hätte dann allerdings den zweiten Schritt tun müssen und dieses Manko durch ein perfektes Nahverkehrssystem ausgleichen müssen. Das ist nicht geschehen, und jetzt wird sicherlich das Aus für viele Nebenstrecken kommen. Diese Dinge sind aber letztlich alle aus der Not geboren. Strategisch und umweltpolitisch war da nichts Bewahrenswertes.

Wobei die Gesetze doch gar nicht so schlecht waren...

Das Landeskulturgesetz mit seinen Durchführungsverordnungen wäre ein in sich stimmiges, ganz gutes Gesetzeswerk gewesen, wenn nicht überall der Zusatz „entsprechend den gesellschaftlichen Möglichkeiten und Notwendigkeiten“ gestanden hätte. Jedes Gutachten konnte am nächsten Tag durch einen Beschluß der Kreis- oder Bezirksparteileitung aufgehoben werden. Gesellschaftlich notwendig war dann zum Beispiel, daß kurz nach Dresden-Gittersee ein mit Chlorgas arbeitendes Reinst-Siliziumwerk gebaut werden sollte, obwohl alle Gutachten dagegen sprachen. Damit wurde das Gesetz natürlich entwertet.

Interview: Bärbel Petersen