„Tschernobyl - das haben viele schon weggepackt“

■ Die taz sprach mit dem Staatssekretär für Jugend und Familie, Gerd Harms, über den Besuch von Kindern aus Tschernobyl in Berlin

INTERVIEW

Frage: Herr Harms, ist Ihnen auch zu Ohren gekommen, daß es Gasteltern gegeben hat, die die Kinder in der letzten Woche, als es darum ging, sie nach den Ferien wieder zurückzuschicken, nicht zurücklassen wollten?

Gerd Harms: Kinder aus Tschernobyl hierher zu holen, war eigentlich keine Aktion der Senatsverwaltung, das muß man deutlich sagen, sondern eine Initiative, beispielsweise von Vätern und Müttern gegen atomare Bedrohung und von Kirchengemeinden, vom Bündnis 90.Da haben wir gesagt: Das wollen wir unterstützen.

Es ist eine ganz wichtige Geschichte, sowohl für die Kinder als auch, denke ich, symbolisch im Sinne von Solidarität und Hilfe.

Was brachte die neue Dramatik, daß die Kinder nicht zurückgeschickt werden sollten?

Tschernobyl ist für uns mehr ein abstrakter Begriff, und man sieht es ja auch daran, daß viele das schon weggepackt haben. Ich denke, sobald man es konkret mit Menschen zu tun hat und auch Beziehungen aufbaut, daß natürlich die Frage: Wo gehen die jetzt wieder hin? viel klarer und deutlicher wird, als wenn ich abstrakt über die Kinder von Tschernobyl rede oder mir irgendwelche Bilder in Zeitungen anschaue.

Ist die Senatsverwaltung konkret gebeten worden, damit die Kinder bleiben können?

Nein, konkret noch nicht. Ich hab's mitgekriegt über eine Mitarbeiterin, die mir das als Problembeschreibung berichtet hat. Dann haben wir anläßlich eines Treffens, bei dem eine Jugendgruppe betreut wurde, die aus München zurückkam und mehrere Stunden Aufenthalt hatte, über diese Frage geredet. Ich persönlich kann die Reaktion verstehen. Ich glaube aber, daß es kein Weg ist, den man insgesamt gehen kann. Es gibt Angebote für Patenschaften zwischen Familien. Gestern war da zum Beispiel ein 17jähriges Mädchen, das gerade Abitur gemacht hat und jetzt hier von einer Frau aufgenommen wird. Aber die generelle Frage ist, was passiert mit den Menschen aus der Gefahrenzone, gibt's Möglichkeiten, auch im größeren Maßstab, Menschen umzusiedeln?

Gibt es nicht eine Möglichkeit, anders politisch tätig zu werden als symbolisch, zumal es Meldungen gibt, daß der Berstschutz um den Reaktor nicht dicht ist?

Die Notwendigkeit gibt's sicher. Die Initiativen diskutieren ja auch, soweit ich das höre, wie man jetzt weitermacht. Dies Gebiet ist ja auch erst, unter anderem wegen dieser Aktion, zum Notstandsgebiet erklärt worden. Das ist vorher verschwiegen worden und jetzt erst weltweit und öffentlich bekannt geworden.

Können Sie sich denn vorstellen, daß und wie die offizielle Politik eingreifen könnte?

Ich kann mir von unserer Seite vorstellen, daß der Senat von Berlin an die Bundesregierung herantritt, die Sowjetunion bei Umsiedlungsmaßnahmen zu unterstützen. Die Sowjetunion ist in einer sehr schwierigen Lage, ich denke, so was geht nur mit internationaler Hilfe.

Sie kündigen also eine Initiative in Richtung Senat an?

Ich werde so etwas diskutieren, ich kann das natürlich jetzt so ad hoc nicht entscheiden. Ich habe jetzt erst davon gehört und werde mich in der nächsten Woche darum kümmern.

Interview: Georgia Tornow