Konkurrenz aus Osteuropa: „Italiens Bauern haben Angst, und das zu Recht“

■ Sandro Salvadori, Präsident des alternativen Bauernverbandes, beschreibt die Bedrohung der italienischen Landwirtschaft durch eine neue internationale Arbeitsteilung

INTERVIEW

Sandro Salvadori, 35, Agrarwissenschaftler, ist Präsident des 1976 gegründeten alternativen Bauernverbandes Confcoltivatori (Conferederazione italiana coltivatori) in der mittelitalienischen Privinz Latina.

taz: Die italienischen Bauern äußern Angst vor der Konkurrenz aus dem Osten. Woher das Muffensausen - wo doch angeblich die Grenzen zur EG so dicht abgeschottet werden sollen?

Sandro Salvadori: Italiens Bauern haben Angst, und das zu Recht. Ein Teil der Probleme, die auf sie zukommen, ist hausgemacht, ein anderer Teil ist aber durch die aktuellen Entwicklungen bedingt. Eine präzise Angst gibt es bereits seit langem, weil natürlich bei der Aufhebung der Grenzen innerhalb der EG-Länder auch Anbieter auf den internen italienischen Markt drängen, die auf denselben Gebieten produzieren wie unsere Bauern hier, aber mit wesentlich niedrigeren Kosten und mit einer viel weiter entwickelten Technologie.

Auf welchen Gebieten?

Das ist besonders deutlich spürbar auf dem Sektor der Milcherzeugung und der Milchprodukte, wo Länder wie Deutschland oder Frankreich Riesenmengen von Milch hervorragender Qualität mit niedrigerem Kostenaufwand erzeugen. Das hat auch historische Gründe: In Deutschland zum Beispiel bestellen landwirtschaftliche Betriebe seit langem durchschnittlich zwei- oder dreimal so viel Fläche wie unsere Bauern hier. Das bringt eine erhebliche Verminderung der Kosten mit sich. In Frankreich wird die Milch um ungefähr 20 Pfennig billiger hergestellt als in Italien. Dasselbe gilt auch für andere landwirtschaftliceh Produkte wie Gemüse und Getreide.

Das betrifft zunächst die Konkurrenz innerhalb der EG. Wie steht es mit dem Osten?

Das hat seinen Grund darin, daß einzelne Länder der EG spezielle Handelsbeziehungen zu Ländern des Ostens pflegen.

Italien aber doch auch, man denke nur an Fiat...

Richtig, aber das ist Industrie, nicht Landwirtschaft.

Dann nehmen wir den Landwirtschaftsmogul Raul Gardini, der mit seinem Ferruzzi-Konzern in der Sowjetunion Ländereien kultiviert, die so groß sind wie halb Italien.

Auch richtig. Nur das richtet bei uns keinen internen Schaden an, weil sich die Produktion auf den innerrussischen Markt bezieht. Das, was unsere Bauern aber als große Gefahr ansehen, ist die Möglichkeit, daß die EG über die Sonderkanäle einzelner Länder mit Waren aus Nicht-EG-Ländern überschwemmt wird, die eine starke Konkurrenz zu unseren Produkten darstellen.

Auf welchen Märkten?

Internationale wie auch hier bei uns selbst. Die Angst besteht nicht so sehr darin, daß die italienischen Produzenten etwa nicht ihre Märkte ausdehnen könnten, sondern darin, daß sie selbst Gegenstand einer aggressiven Marktpolitik aus dem Nicht-EG-Ausland werden. Bekannt ist beispielsweise, daß viele Nachbarn der EG, wie Ungarn, Rumänien, die Tschechoslowakei, auch Bulgarien, enorme Getreideanbaugebiete besitzen, deren Produkte, wenn sie erst in die EG eingeführt werden, aufgrund ihrer geringen Entstehungskosten den gesamten Markt umstülpen können. Dasselbe gilt mittlerweile für Versuche, direkte Konkurrenz zu italienischen Produkten zu machen, z.B. durch den Aufbau von in der EG geschätzten Rebenkulturen in der Tschechoslowakei. Und, gerade haben wir auch das erfahren, sogar traditionelle italienische Sektoren wie etwa der Haltung von Wasserbüffeln, aus deren Milch der weltberühmte Mozzarella-Käse gemacht wird, sind bedroht durch den Aufbau von Großställen in Ungarn. Hier, das muß man allerdings dazu sagen, sind freilich auch italienische Geschäftemacher und Finanzgruppen mit von der Partie.

Gibt es Gegenstrategien?

Bisher nicht, und das verstärkt natürlich die Ängste noch zusätzlich. Italien hat aufgrund einer völlig passiven Regierungspolitik bisher allenfalls in quantitativer Hinsicht investiert, aber überhaupt nicht in qualitativer. Andere Länder wie Frankreich oder Holland oder auch die Bundesrepublik haben in zweifacher Hinsicht vorgebaut. Durch kostensenkende Rationalisierung sind sie innerhalb der EG konkurrenzfähig, und gleichzeitig haben sie in der Auseinandersetzung mit Billiganbietern das gefördert, was sie nun exportieren wollen und was ihnen auch eine Teilnahme an den Gewinnen der Produzenten außerhalb der EG ermöglicht: Sie haben die Technologie und Exportmöglichkeiten gefördert für Basisprodukte, die diese Länder nicht besitzen. Beispiel: Holland, auch ein in weiten Teilen agrarisches Land, hat erkannt, daß es seine Endprodukte nur noch schlecht exportieren kann. Also exportieren sie beispielsweise keinen Kohl, wohl aber von ihnen entwickelten Kohl-Samen für besonders ergiebige Sorten.

Für uns zum Beispiel hätte es bedeutet, daß wir hier rechtzeitig für Ost-Länder geeignete Büffelrassen und Rebenkulturen züchten hätten sollen, um die dann zu exportieren - das ist aber eine Arbeit, die Jahrzehnte erfordert. Genau das haben wir nicht gemacht. Wir haben immer nur auf das Endprodukt geschaut, nicht aber perspektivisch auf das, was man nun wirklich verkaufen kann, und das sind eben Ausgangsstoffe oder Technologien.

Ist das alles auch dem kleinen Bauern auf den Höhen der Abruzzen oder in Kalabrien, der Basilicata bewußt?

Da kommen wir an einen besonders interessanten Punkt. Ich war gerade auf einer Versammlung solcher Kleinbauern im Hinterland. Diese Leute sind sich der Lage kaum bewußt einerseits, weil sie aufgrund ihrer Bildung und Ausbildung nur schwer verstehen, was da alles abläuft. Zum anderen aber auch, weil sie selbst ja bereits heute faktisch außerhalb des Marktes leben. Die stellen ihr Olivenöl, ihren Wein, ihr Gemüse vor allem für den Eigenverbrauch her, und die Kosten liegen oft um ein Vielfaches über dem, was sie im Supermarkt dafür zahlen würden.

Viele von ihnen versehen den Hof ja auch nur noch in Teilzeitarbeit, weil sie in irgendeiner Fabrik, einem Handwerksbetrieb, im Tourismussektor oder anderweitig Geld verdienen müssen. Insofern hat es für sie keine so große Bedeutung, was da mit der Realisierung der EG abläuft.

Besteht aber nicht Gefahr, daß dann immer mehr dieser Nebenerwerbs-Landwirtschaften aufgegeben werden, weil zum Beispiel die Söhne und Töchter wegziehen und den Hof dann nicht mehr weiterführen - mit der Konsequenz, daß die Felder verfallen, die Krume weggeschwemmt oder weggeblasen wird und das sowieso schon zu mehr als einem Drittel verkarstete Italien noch mehr verfällt?

Hier beginnt der interessante Aspekt: Die Produkte dieser Klein- und Nebenerwerbsbauern könnten nämlich einen neuen Markt konstituieren mit Produkten, die nicht industriell hergestellt und nicht maschinell verarbeitet sind, ohne Pestizide und Insektizide, für die viele Konsumenten heute bereit sind, einen weit höheren Preis zu bezahlen als für das Supermarktangebot. Diese Bauern sind sich solcher Möglichkeiten aber oft gar nicht bewußt, und sie sind solchen Offerten gegenüber bisher eher mißtrauisch.

Auch unsere Regierung ist hier noch viel zu untätig. Doch es handelt sich hier tatsächlich um eine Überlebensfrage für Italiens Bauern, das kann man ohne Übertreibung sagen. Einerseits liegt hier eine der großen Ressourcen für Neuansätze im Agrarmarkt, andererseits kann nur durch die Aufrechterhaltung und vielleicht sogar Erweitung dieser Art von Landbestellung eine weitere Ausblutung der Landwirtschaft vermieden und damit ihre Regenerationsfähigkeit erhalten werden.

Interview: Werner Raith