Immer noch habe ich einen Traum

■ Der nationale Impetus der „Schwarzen Revolution“ in Südafrika wird aufgeweicht

Trotz dieser wütenden Zeiten ist es immer noch möglich, positive Visionen über die Zukunft Südafrikas zu haben. Trotz des Blutes, der Schmerzen und der Qual, die in meine Träume fließen... Und trotz des erbarmungslosen Bildes dahingeschlachteter, zerstückelter Körper, das vor meinem inneren Auge aufflackert.

In diesem Land zur jetzigen Zeit leben heißt, täglich, manchmal gar stündlich zu schwanken zwischen Verzweiflung und Hoffnung, Leben und Tod, zwischen meinem Idealismus und der kalt kalkulierten Realität, daß noch viele in den kommenden Monaten gewaltsam sterben werden.

Manchmal finde ich die Ruhe und stehe bei Sonnenaufgang da, bis die Schatten der Nacht verschwinden. Die wunderschönen Farben des Horiziontes sind wie spiritueller Balsam und Friede für all den Schmerz, den Leben unter Apartheid verursacht. Doch wenn es dunkel wird, erfüllt das Echo der Schüsse die Nacht. Riesige Wellen aus Feuer und Rauch scheinen die Sterne zu ersticken. Dann bedauere ich meine Tage, und die Gewalt, die ich so sehr fürchte, nimmt Platz neben mir.

Oft spreche ich von der dringenden Notwendigkeit, daß Mitleid, Toleranz und besseres Verständnis zuallererst unter den schwarzen Menschen kultiviert werden müssen. Ihre Geschichte aus Erniedrigung, Verunglimpfung und Selbst-Haß kulminierte in der Gewalt von Schwarz gegen Schwarz. Schwarze Kinder werden mit allen Arten physischer und institutioneller Gewalt gestillt und gefüttert, so sehr, daß sie keine richtige Kindheit mehr haben. Für sie schmecken die Früchte des Zorns wie geschwisterliche Liebe, und immer noch trinken sie den Trank der Rebellion.

Daß Nelson Mandela nach 27 Jahren Haft freigelassen wurde, galt als Beweis des ernstzunehmenden Bemühens Präsident de Klerks, die Situation in Südafrika zu normalisieren. Doch obwohl es hoffnungsvolle Anzeichen einer neuen Detente gab, sah ich doch voraus, daß es zu einem ziemlichen Tauziehen und Power-play außerparlamentarischer Kräfte für und gegen Verhandlungen sowie für und gegen Organisationen, die innerhalb des Rahmens staatlicher Institutionen arbeiteten, kommen würde.

Die vernichtende, brudermörderische Blutrünstigkeit, die nun landesweit in ungeahntem Ausmaß ausbrach, ließ mich erstarren. Nicht nur sollte die Gewalt Mandelas Verhandlungshand abschlagen, sondern der nationale Impetus der „Schwarzen Revolution“ aufgeweicht werden. Dem Regime wird mehr Zeit gelassen, an einer Allianz mit Kräften jenseits des ANC zu basteln.

Erschüttert, die Hoffnungen nicht erfüllt, erzürnt über dieses sinnlose Töten, stolpere ich in meine Träume und weigere mich doch, die Augen zu schließen, weigere mich, die Hoffnungsschimmer, die ich durch mein Verhalten und Schreiben unter die Unterdrückten streute, zu vergessen. Weigere mich, zu schweigen, während andere im Namen des Überlebens der Weißen und der christlichen Moral die Flammen schüren.

Ich unterstützte die Gespräche mit der Minderheitenregierung von Anfang an nicht. Wie das Black Conciousness Movement, dem ich angehöre, wollte ich, daß schwarze Gruppen zuallererst miteinander über die Gemeinsamkeiten ihres Kampfes reden sollten. Und dann, hätte man Felder der Kooparation und des Kompromisses gefunden, wären Verhandlungen mit der weißen Macht möglich gewesen.

Es wird keinen wahren Frieden geben, finden Schwarze nicht zueinander. Etwas in mir möchte daran glauben, daß es de Klerk ernst meint, daß er mutig ist, alles Leben schützen will - und nicht nur das der Weißen. Aber wie soll ich ihm trauen oder ihn und seine Armee und Polizei auch nur entlasten, wenn so viele der Meinigen tot oder verkrüppelt sind nach 42 diabolischen Jahren Herrschaft seines „Volks“? In einer multikulturellen, kosmopolitischen und heterogenen Gesellschaft wie District Six in Kapstadt oder Sophiatown in Johannesburg (beide „gemischten“ Stadtteile wurden dem Erdboden gleichgemacht und die Bewohner zwangsumgesiedelt, d. Red.) hätte solcher Stammesterror niemals blühen können. Woher hätten die Homelandführer denn ihre Stammessoldaten nehmen sollen? Woher wäre das Geld gekommen, um Tod zu schüren und exportieren?

30 Jahre lang, davon zehn Jahre gebannt, unter Hausarrest oder inhaftiert, habe ich jenen zu helfen gesucht, die Wärme, Essen, Kleider brauchten. Hoffnungslose versuchte ich moralisch zu stärken, während Einwanderer und die Weißen Südafrikas in Ruhe weiteraßen und in Luxus lebten. Es tut sehr weh, Augenzeuge und Opfer dieser Ungerechtigkeiten zu sein. Und dennoch ist immer noch Platz genug in meinem Traum für Frieden und Freiheit aller Menschen, besonders für die Kinder. In diesem Traum bin ich nicht allein. Viele teilen die Vision von Versöhnung, Toleranz und Vergeben.

Die Weißen müssen lernen, ihre Fehler zu bekennen. Sie sollten ihre Angst begraben, ihre Habgierigkeit ablegen, müssen endlich lernen, ihren Visionen und der Führungskraft von Menschen wie Nelson Mandela und ungezählten anderen in diesem schönen, reichen, aber geplagten Land zu vertrauen.

Don Mattera

Don Mattera ist schwarzer südafrikanischer Schriftsteller und prominentes Mitglied der „Black Consciousness Bewegung“. Er war von 1974 bis 1982 verbannt. Zur Zeit arbeitet er als Kulturredakteur bei der Johannesburger Tageszeitung 'Daily Mail‘. Seine Bücher sind auch auf Deutsch erschienen. Übersetzung: AS