Wird die SPD den Staatsvertrag abtreiben?

Bonn/Berlin (dpa/ap/taz) - Als gebe es nicht die Drohung der SPD, den Einigungsvertrag in seiner vorliegenden Form platzen zu lassen, verhandelten gestern in Bonn Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble und DDR-Staatsekretär Günther Krause (beide CDU) das Vertragswerk in letzter Runde. Beide wollen noch in der Nacht zum Samstag zu einer Einigung kommen.

Auf die Forderung sowohl der SPD als auch der FDP erklärte sich allerdings gestern mittag Bundeskanzler Kohl bereit, noch am Sonntag abend die Chefs der Koalitionsparteien und der Sozialdemokraten zu einem Gespräch über die nach wie vor offenen Fragen einzuladen. SPD-Chef Vogel und seine Stellvertreter hatten Kohl in einem Schreiben erneut darauf hingewiesen, daß für den Vertrag die Zustimmung der SPD erforderlich sei.

Der FDP-Vorsitzende Otto Graf Lambsdorff erklärte dazu gestern überraschend in Ost-Berlin, er habe sich mit dem Bundeskanzler darauf verständigt, der Einigungsvertrag solle erst paraphiert werden, wenn die notwendige Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat gesichert sei. Nach seinen Worten will die FDP trotz ihres Einlenkens in der Koalition weiter darauf dringen, daß Bündesbürgerinnen bei dem Schwangerschaftsabbruch auf DDR -Gebiet straffrei bleiben. Die SPD hatte angedroht, wegen des Wohnortprinzips bei der Abtreibungsregelung den Einigungsvertrag scheitern zu lassen.

In Bonn wiederholten gestern die SPD-regierten Länder, von einer Einigung über den Vertrag seien Bund und Länder noch weit entfernt. Der Chef der NRW-Staatskanzlei, Wolfgang Clement (SPD), nannte neben der Abtreibungs-Frage drei zentrale Punkte, in denen es noch keine Übereinstimmung gebe: Hinsichtlich der Regelung offener Vermögensfragen sei Bonn bisher nicht bereit, zum Grundsatz der Entschädigung anstelle des Prinzips der Rückgabe enteigneten Vermögens überzugehen. Hier stimmt die SPD übrigens mit den Forderungen von DDR-Staatssekretär Krause überein, der bei unklaren Grundstücksfragen Hilfe durch einen Entschädigungsfonds sowie Staatshaftung im Einigungsvertrag festschreiben möchte. Der Bonner CDU-Wirtschaftsrat hat sich dafür eingesetzt, daß zumindest die 1945 bis 1949 vorgenommenen Enteignungen nicht vertraglich festgelegt werden.

Weiter beklagt Clement, die Bundesregierung habe keinerlei Vorschläge über die Zukunft der mindestens 1,74 Millionen Mitarbeiter des Öffentlichen Dienstes der DDR gemacht. Auch das Modell für eine Finanzausstattung der DDR-Länder sei noch nicht konsensfähig.

Die DDR-SPD hat gestern zudem angekündigt, den Staatsvertrag abzulehnen, wenn die Regierung nicht die durch den Stromvertrag geplante Einschränkung kommunaler Rechte zurücknehme.

bg