Höhere Befreuung

■ Liebe, Dekadenz und Verzweiflung: „Faltsch Wagoni“ im Lagerhaus

Freuling war angesagt, und alles freute sich. Wenigstens für zwei Stunden: So lange nämlich wurden am Freitagabend die Gäste im vollbesetzten Cafe Lagerhaus auf Trab gehalten, von Faltsch Wagoni. Unabhängig davon, was das ist Silvana Prosperi jedenfalls und Thomas Busse, die beiden sind ganz schön faltsch wagoni.

Was sie gemacht haben? Das weiß nun keiner mit Sicherheit. „Eine Textmusikshow über Liebe, Dekadenz und Verzweiflung“, hieß es. Doch es war mehr als das.

Das Künstlerpaar spielt ein Künstlerpaar, das nach zehnjähriger Theaterabstinenz auf die Bühne zurückkehrt. Dort zeigen die beiden Rückblicke. Rückblicke auf ihr zivilisationsgeschädigtes Zweierdasein im dreißigsten Stockwerk eines Elfenbeinturms. Da wird gesungen, rezitiert, philosophiert, dramatisiert und im Duett gesponnen, was das Zeug hält. Faltsch Wagonis Künstlerpaar erkennt: Wenn schon dane

ben, dann neben dir! („Ich weine ja nur, weil das bei mir so ist, daß ich nicht bei mir bin, wenn du nicht bei mir bist!“)

Silvana Prosperi und Thomas Busse agieren in herrlicher Abstimmung aufeinander. Da treffen Wortspielereien sicher ins Schwarze; Verbal-Hornungen irritieren die Zuschauer: Da lachen sie noch über die Pointe, und plötzlich verdreht einer der beiden den Sinn: Das Publikum befindet sich in einem Wirrwarr deutscher Grammatik. Das sind Slapsticks, die gar keine mehr sind, sondern ganz schön höherer Blöd-Sinn.

Außerdem sind die beiden aus dem wilden Süden der Republik auch musikalisch begabt. Rhythmik dominiert das Stück. Faltsch Wagoni greifen in ihrem Repertoire auf alle möglichen und unmöglichen Instrumente zurück. Da krümmen sich dann begeistert die Gehörnerven unter dem Gesang von Thomas Busses Sägeblatt, der ihm virtuos, mit Fin gerhut und Streichbogen ausstaffiert, Töne entlockt. Silvana Prosperi verwundert dazu mit einer Gitarre aus Styropor. Oder quält eine Kindertrompete. Oder mal hören wir ein Drumsolo: Zwei Fliegenklatschen auf beleuchtetem Schlagzeug.

Dazu singen sie eben. Und das auch noch verdammt gut. Silvana Prosperi hat alle Tonlagen drauf von der verruchten Stimme Zarah Leanders bis zu den psychedelischen Klängen Laurie Andersons. Thomas Busse überzeugt mit einer gehörigen Portion Theatralik und einer nahezu unglaublichen Körperbeherrschung. Schauspielerei, modulierfähige Stimmen, experimentelle Musik und die Nähe zu Avantgarde und Dada beide haben von allem wirklich viel.

Und am Ende ist die Frage offen, ob die Würde vielleicht nur der Konjunktiv des Seins sei. Das Ziel ist erreicht: Die ZuschauerInnen wurden befreut. Befreit? Erfreut? Genau. Marcus Völke