Ohne Bremer Hilfe läuft nichts mehr

■ Drei Richter, Gesetzestexte und juristische Fortbildner nach Rostock geschickt

Das zunächst einmal Wichtigste, das die 12 RichterInnen von ihrem Besuch bei Bremer KollegInnen mit zurück nach Rostock nahmen, waren Fotokopien - von der sogenannten Anlage 3 zum Einigungsvertrag über die Rechtsangleichung: Denn obwohl seit dem 1. Juli etliche BRD-Gesetze bereits in der DDR gelten, sind die Gesetzestexte bislang noch nicht in die Amtsstuben der Rostocker Gerichte vorgedrungen. „Die Rechtssprechung lag deshalb zwangsläufig einige Wochen still“, erzählt Familienrichterin Evelin Römmling. Sie hospitierte zwei Tage lang mit elf ihrer derzeit 15 Rostocker BerufsrichterInnen in Bremer Sitzungssälen - in Strafprozessen, im Jugend- und beim Arbeitsgericht.

Die ersten Eindrücke der Gäste aus Rostock: Die Verfahren hier sind weniger obrigkeitlich, sind formloser, lockerer im Umgangston und kommen schneller zu den Sachfragen. Ein anderer Eindruck aus Verfahren vor dem Jugendrichter: Schwarzfahren oder das Benutzen eines Fahrrades unter Alkoholeinfluß, hier als Straftatbestand eingestuft, seien in der DDR lediglich Ordnungswidrigkeiten. „Das erklärt uns auch die sehr hohe Kriminalitätsbelastung pro 100.000 Einwohner in der Bundesrepublik“, meint Ralf Schröder, Strafrichter am Rostocker Bezirksgericht und ver

weist auf die Arbeit der Konflikt- und Schiedskommissionen in Betrieben und Wohnbezirken der DDR, die vieles „gesellschaftlich“ schon vor dem Eingreifen der Gerichte „geregelt“ hätten.

Bremens Justizsenator Kröning warnte in dieser Diskussion jedoch davor, die DDR-Gerichtsbarkeit allzu „holzschnittartig“ im Vergleich zur bundesrepublikanischen zu betrachten, blieben hier doch gerade Jugendliche durch viele Verfahren in der Verantwortung der Gemeinschaft, indem sie soziale Fürsorge anstelle von Strafe setze - häufig durch Intervention des Staatsanwaltes bevor überhaupt ein Verfahren eröffnet werde.

Alle DDR-Richter erstmal nur noch auf Probe

„Von unserer Rechtsordnung wird nicht allzuviel übrigbleiben“, meint DDR-Richter Schröder, „aber die Bremer Kollegen sind uns sehr aufgeschlossen entgegengekommen und haben ihre Unterstützung zugesagt.“ Ohne Hilfe aus der Bundesrepublik, wie sie in einer entsprechenden Bund-Länder -Vereinbarung auch festgelegt ist, würde spätestens zum 4. Oktober die Gerichtsbarkeit der DDR zusammenbrechen: Sämtliche Richter, die in der DDR übrigens zusammmen mit den Kommunalpolitikern jeweils für fünf Jahre gewählt wurden,

sind zur Bewährung ins „Proberichterverhältnis“ zurückgestuft worden. Vom 1. Oktober an sind sie zu einem Nach-Studium verpflichtet: Dann müssen sie eine Woche pro Monat die Schulbank drücken, bevor über ihre Weiterbeschäftigung entschieden wird.

Wiedereröffnung der Rostocker Jura-Fakultät

Eine Reihe von Wochenendseminaren und die zweitägige Hospitation haben Bremer Wissenschaftler und Praktiker für ihre Rostocker Kollegen bereits organisiert. Der Fachbereich Rechtswissenschaften in Bremen beteiligt sich außerdem an der Wiedereröffnung der 1956 geschlossenen juristischen Fakultät in Rostock. Drei Bremer Richter wird Senator Kröning darüber hinaus am 1. Oktober für zwei Jahre nach Rostock abordnen, um dort die Verwaltungs-, Sozial- und Arbeitsgerichtsbarkeit aufzubauen - allerdings nur, wenn der Finanzausschuß auch Vertretungsstellen genehmigt. Je zur Hälfte finanzieren Bund und Länder das Hilfsprogramm. Das zweijährige Fortbildungprogramm für Richter und Staatsanwälte des künftigen Mecklenburg-Vorpommern trägt Bremen vereinbarungsgemäß mit Hamburg und Schleswig -Holstein.

„Die 1.200 Richter der DDR sind nur noch bis zum 15. Januar

legitimiert“ erzählen die Rostocker RichterInnen, „bis dahin wird überprüft, ob wir in der Lage sind, Treue zum freiheitlich demokratischen Rechtsstaat auszuüben. Dann sollen wir uns auf Bezirksebene den Richterwahlausschüssen aus 4 Richtern und 6 Parlamentariern stellen.“ Etliche Kollegen hätten angesichts der bevorstehenden Prüfung den Dienst bereits quittiert. Auf 20 % schätzen die im neugegründeten Richterbund vertretenen RostockerInnen ihre Zahl. Und die Bezirksgerichtsdirektoren und die Politischen seien zumindest im Bezirk Rostock vollständig aus dem Amt entfernt, wie es der runde Tisch gefordert hatte.

Keine Angst vor den Prüfungsausschüssen

Ob sie denn Angst vor den Prüfungsausschüssen haben? „Nein“ erwidert Strafrichterin Dagmar Blockus prompt. „Wenn jemand nicht mehr Richter sein kann, weil er sich ans Gesetz gehalten hat, dann hat das mit Rechtsstaatlichkeit nichts mehr zu tun. Und staatstragend müssen die Richter hier doch auch sein, oder?“ Natürlich hätten auch sie nach § 213 (Republikflucht) urteilen müssen, „hier müssen die Richter ja auch Verstöße gegen § 218 ahnden, auch wenn sie dies persönlich nicht wollen“, betont die Rostockerin.

ra