Kalifornische Jungmänner

■ „The Idealists“, Matias Jaramillo, Stefan Kürten und Tony Labat, in der Raab Galerie

Die Galerie Raab hat sich programmatisch für heftige Malerei eingesetzt. Ihr Ruf wuchs mit dem Erfolg der „Neuen Wilden“ und begann sich mit deren überraschungslosen Gesten zu stabilisieren. Raab hat ein Profil und das Bild mitgeprägt, daß Kunst aus Berlin expressiv und gestisch sei. Dieses Image zwingt viele junge Künstler und Künstlerinnen in eine Falle, weil neuere und akut gegenwärtige Kunst eben nicht nur figurativ und gestisch ist. Darauf reagiert nun Raab. Mit noch neueren Wilden ist weder Ruf noch Kasse zu machen. Also öffnet man seinen Raum für drei in San Francisco lebende junge Künstler, die ihre Fähigkeiten im Umgang mit Zitaten präsentieren und die alte Duchampsche Frage mit der nötigen Dreistigkeit noch einmal stellen: Wer bestimmt, ob ein Gegenstand Kunst ist oder nicht, und nach welchen Kriterien überhaupt?

Daß sich diese Frage stellt, zeigt, in welchem Grenzbereich Tony Labat, Matias Jaramillo und Stefan Kürten arbeiten. Jeder bemüht sich, virtuos mit Zitaten zu hantieren, die im Kunstkontext aber stets doppelkodiert sind. Wenn einer wie Tony Labat Papiercollagen aus Veranstaltungsplakaten zusammenklebt und sie ordentlich in einem Rahmen vorstellt, dann muß diese Verfahrensweise nicht nur ihre ästhetische Valenz durch die Art der Klebearbeit und der zitierten Realität beweisen, sondern auch einem Vergleich z.B. mit Vostell und Jean-Charles Blais standhalten. Und standhalten heißt: die Differenz erkennbar machen; sonst bleibt nur bemühtes Nachäffen.

Labat reißt Palakate von Tempodrom, Ecstasy und Metropol auseinander und klebt sie lesbar, in lockerer Folge wieder zusammen. Die Lesbarkeit ist leicht gestört. Labat verfremdet. Und selbst wenn er die Papierfetzen malerisch von der Farbe her - organisiert, legt er Wert auf lesbares Datum und lesbaren Ort: Es ist der stürmische Frühling in Berlin 1990. Labat löst sich nicht von der Quelle. Das Zerreißen und Neuzusammensetzen verneint weder die Herkunft, noch setzt es eine neue Qualität. Vielleicht glaubt der Künstler aus Frisco, in Berlin sei inzwischen jeder Realitätspartikel historisch und bedeutsam, und es genüge, Ort und Datum zu dokumentieren. Aber das bezeugt nichts anderes als ein Schnappschuß an der Mauer auch: Ich war da.

Vielleicht werden in Kalifornien diese Collagen als Realzitat goutiert wie eine Handvoll Mauerstückchen. An der Potsdamer Straße jedenfalls, nahe dem früheren Quartier Latin, kann jeder Passant eine authentische Decollage sehen: ein Phänomen der Zeit, durch die Zeit von Anonymen verändert und in Form gebracht - Überbleibsel von Ankündigungen, die die Gegenwart längst eingeholt hat, und farblich ein Fest für die Augen. Labat ist mit seinem brav gerahmten Zeitvertreib dieser Decollage von namenlosen Abreißern und Plakatklebern sichtbar unterlegen.

Nicht ganz so beliebig verfährt Labat in seiner Video -Arbeit „Tank-Top“. Ein Endlosband wiederholt im Fünf -Sekunden-Takt dieselbe Szene: Eine Stripperin dreht auf der Bühne eine Pirouette, wirft ordnungsgemäß die Arme hoch, wuschelt kurz im Haar und läßt sie wieder fallen - da schnellt eine Männerhand an ihren Nabel, sie reißt das Knie hoch, stößt den Mann von sich und dreht eine Pirouette usw. Das Video ist in eine Panzersilhouette eingebaut. Die Kanone ragt parallel zur Trittrichtung der Frau. Der Titel und sein Anspielungsreichtum machen aus der Frau eine Waffengattung. Das ist wohl nett gemeint und reicht für einen Sekundenwitz am Knabenabend. Aber wäre Labat ein Berliner Künstler, Raab hätte ihn wohl ignoriert.

Matias Jaramillo ist für die Raab Galerie eine Innovation. Er installierte einen Raum: „The Lady Bug Revolution. In the office of the World Department of Control and Justice“. Es geht um Überwachung und Recht - zwei Bereiche, die hier in ein einziges Büro delegiert werden. Das FBI im Justizministerium, der Stasi als Rechtsabteilung - weltweit. Wie sieht ein solches Büro aus? Kühl und kahl und so, als ob hier keiner mehr arbeitet. Ein frischgezimmerter Tisch, etwas wackelig, mit Marienkäfern übersät. An den Wänden kleine Regale mit Aktenordnern. Große rote Pfeile weisen in alle vier Richtungen. Über einem Lichtgerät hängen Streifen mit belichtetem Negativfilm. Sie zeigen Passanten am Tauentzien, Höhe Wittenbergplatz. Jeder Galeriebesucher könnte abgebildet sein. Grauer Fußboden. Leicht getönte weiße Wände. Grelle Scheinwerfer. Nur ein Ascher verweist darauf, daß manchmal Menschen hierher kommen Ausstellungsbesucher.

Es sieht ganz so aus, als wollte Jaramillo in seiner beachtlichen Schlichtheit zeigen: Seht, die Herrschaft über die Welt ist ausgesetzt. Die niedlichen Tierchen haben das Büro besetzt. Auch wenn die Fotos so frisch wie der Tisch sind, die Marienkäfer führen das Kommando. Denn aus Wanzen (bugs) sind Marienkäfer (lady bugs) geworden, die vertilgen naturgemäß die Läuse und Wanzen.

Spätestens hier zeigt sich, daß die Präsentation dieser drei Künstler nathlos an den Showcharakter der sogenannten wilden Maler anknüpft. Es geht gar nicht um eine Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit, in ihrer Zitierung, sondern um eine artistische Show, nicht um Erkenntnis, sondern um Marktinteresse, nicht um sondierte Wirklichkeit, sondern um Trendverstärkung. Die Kategorien der Rockmusik und Unterhaltungsindustrie sind angemessener. Dem riesigen Thema entspringt eine letztlich doch dürftige Rauminstallation. Die starken Begriffe „Revolution“, „Control“, „Justice“, die zumindest in Ost-Berlin den Adrenalinspiegel steigern, werden bagatellisiert. Das darf ein Künstler jederzeit und überall. Aber er muß damit rechnen, daß er mit diesem künstlerischen Schnellschuß unterhalb der historischen Intelligenz liegt und entsprechend bewertet wird.

Ich habe Fotos der Stasi-Zentrale in Ost-Berlin gesehen. Verwaiste Büros. Leere Verhörräume, Zellen, Flure. Eine Einrichtung aus den fünfziger Jahren. Alles kühl und kahl. Und an jedem Fenster ein Vorhang mit Gardine, Blümchenmuster. Dahinter ein Eisengitter. Die Stühle stehen oft schräg zum Tisch, als wäre gerade jemand aufgestanden, käme gleich wieder zurück. Diese Fotos, die nichts weiter als reine Abbildungen sind, plus das durchschnittliche Wissen aus den Printmedien, das sich mit dem Blick verbindet, zeigen mehr über „Revolution“, „Control“, „Justice“, als es diese begehbare Rauminstallation vermag. Ein paar Recherchen in Realräumen wären Herrn Jaramillos Arbeit nicht abträglich gewesen - vor allem deshalb nicht, weil er mit dem vorhandenen vagen Wissen der Orts- und Zeitkundigen rechnen muß. Und selbst wenn er darauf pfeift, so ist seine Marienkäfer-Metapher nicht gerade eine zündende Transformation der Realität in eine autonome Vorstellungswelt, sondern eher eine Art Andre-Heller-Version für positive Phantasie.

Stefan Kürten zitiert keine Realität, sondern Kunstgeschichte. Er mißtraut dem Einzelbild, setzt 5 x 5 kleine quadratische Tafelbilder zu einem quadratischen Gesamtbild zusammen. In altmeisterlicher Manier malt er Motive von Degas, Vermeer, Botticelli und lasiert sie. Oder er setzt Blümchentapetenmuster oder einen Spermienteppich über die Leinwände und schreibt in Schönschrift Vokabeln aus der Anatomie/Sondergebiet Sexualität zwischen das Blumen und Spermienornament. Der Fernblick sieht nur das Muster, der Nahblick erkennt diese Wörter, die manche provozieren, manche belustigen, manche erregen. Heiner Müller behauptet, Kunst speise sich aus krimineller Energie. Angenommen, das stimmt. Wären diese Jungmänner aus Kalifornien keine Künstler, sie wären Taschendiebe und Scheckfälscher - also nur ein bißchen kriminell. Und doch können mit der Galerie Raab jene wieder rechnen, die sich für aktuelle Kunst interessieren. Immerhin schärft diese Show den Blick für die Umgebung und für die Quellen der Zitatjongleure; an die Reflexion über die Moderne schließen Labat und Jaramillo nicht an. Stefan Kürten aber könnte mit Richter und Polke eine Galerie-Ausstellung bestreiten und sich behaupten. Das ist übertrieben, er ist 1963 geboren. Es fehlt - noch? - der rituelle Killerinstinkt. Der könnte sich zeigen; angenommen, Müller hat recht.

Peter Herbstreuth

The Idealists, Raab Galerie, Potsdamer Straße 58, 1-30, Mo -Fr 10-18.30, Sa 10-14 Uhr, bis 30.8.