Empfängnishilfe

■ Neues von „Herbst in Peking“, von „Die Haut“ und von Remo Park

BERLINER PLATTENTIPS

Nach der ersten Single Bakschischrepublik auf dem Westberliner Kleinst-Label Twang-Tone haben die Ostberliner „Herbst in Peking“ ihre erste LP veröffentlicht: auf KPM Records, der „ersten unabhängigen Plattenfirma in der DDR“ und in Kooperation mit dem westdeutschen Indie Happy Valley (über den EFA-Vertrieb). Man wollte wohl so sperrig bleiben, wie man in der DDR bekannt geworden war, weshalb keine normale Studioplatte, sondern ein Live-Album entstand, aufgenommen in Paris und im Gasthaus zum Löwen in Ebersbrunn (?).

Mit den zwölf Stücken wird endlich (auch für den Westler) klar, warum „Herbst in Peking“ in der DDR als die große Hoffnung gehandelt wurden und neben der bekannten politischen auch eine immense musikalische Reputation genossen. Hier wird die wöchentliche Dosis John Peel, dessen Sendungen für den Großteil der DDR-Jugend die einzige Möglichkeit waren, zum internationalen Underground Kontakt zu halten, so unverdaut wieder ausgespuckt, wie sie rezipiert wurde. Nahezu jedes Stück reproduziert eher mehr als weniger ein Kapitel Indie-Geschichte. Eine Verbindung zwischen den Stücken, gar ein „Herbst in Peking„-Stil ist nicht auszumachen.

Seite eins beginnt mit einem Instrumental, das ganz in der DDR-typischen Tradition steht, Anspruch Jazz mit Spaß Pop zu verbinden. Zweites Stück On The Water sind Midnight Oil. Drittes Stück, Parade , ein klassisches Beispiel für die Neue Deutsche Welle: reduziertes, minimalistisches Gedängel mit schlagwortartigem deutschem Text („Parade Paranoia Parallel Paradox Puritaner Prolet ...“). Viertes Stück Movie Stops kommt düster und schwer wie die Simple Minds oder langsamere, frühere U2 daher, während Nr.5, Troublemaker, etwas rumpelnd versucht, die Stones (nie waren sie so aktuell wie heute) und mit ihnen den Rock'n'Roll in die 80er zu überführen.

Daß da auch das Velvet-Underground-Cover nicht fehlen darf, ist klar. Extrem einfallsreich spielen sie Waiting For My Man , als würde Lou Reed auf einen Gummibärchendealer warten. Schön rockig, doch in letzter Konsequenz fehlt „Herbst in Peking“ nicht nur der Mut zur Rückkopplung, zum Lärm, sondern vor allem der Mut zur Synthese. „Herbst in Peking“ bleiben bei platter Reproduktion hängen. Nichts gegen das Zitieren, aber diese Platte ist so überflüssig wie eine Arcade-Compilation, jedenfalls solange es die Originale noch im Ramsch gibt.

Daß „Die Haut“ über die Jahre mehr als die kongeniale Begleitband diverser Gastvokalisten (zum Beispiel Nick Cave) war, weiß man spätestens seit ihrer ziemlich schlüssigen Fortführung des Instrumentalkonzepts in den letzten beiden Jahren. So paßt die Wiederveröffentlichung von Der karibische Western (What's So Funny About, EFA), einer Maxi, die original 1982 nach ihrer ersten LP herauskam, ins Konzept. Bis auf einen kurzen Vocalpart sind alle Stücke Instrumentals. Drei Stücke, dreimal völlig verschiedener Gitarren-Pop, dreimal wird abgesteckt, was „Die Haut“ kann. Auch wenn sie zutiefst amerikanisch klingen, verarbeiten sie doch ihre Einflüsse sehr kosmopolitisch und sind von platter Reproduktion weit entfernt.

Geradewegs aus den frühen achtiger Jahren kommend, grinst Ex-„Hautler“ Remo Park von der Rückseite seines LP-Covers herunter. Verschmitzt oder spöttisch? Genaueres ist nicht auszumachen. „Lying in Ambush“ (what's so funny about/EfA), in etwa mit „auf der Lauer liegen“ zu übersetzen, verspricht im Titel der Platte die Stimmung und Haltung des Gitarristen. „Hier prallt trockener Dancefloor auf Gitarrenvirtuosität und Introvertiertheit“, bestimmt das Labelinfo schrotflintengleich die Zielgruppenstreuung. Die Firma geht gleich auf Großwildjagd: Für den „unverwechselbaren Gesangsstil“ wird nicht nur David Bowie, sondern auch Matt Johnson (Thed The) als Vergleich aufgeboten.

Doch gleich das erste Stück „Star On Fire II“ widerlegt den ganzen Promoblödsinn. Knallende Beats und Breaks aus der Maschine, wummernde Maschinenbässe und eine soultimbrierte, leicht verfremdete Männerstimme zielen haarschraf am Discothekenboden vorbei, um an statt dessen die Daheimgebliebenen vor Ort in Form zu bringen. Mehr zuckend als hopsend verbreitet sich die urbane Atmosphäre eines überzeugten Großstadtklangjägers, der in der Wohnstube zum Exzess bläst. Die Gitarre dominiert und mag sich dennoch keine Sololorbeeren erfichteln. Da hat die Vergangenheit bei „Die Haut“, auch wenn Park nichts mehr davon wissen will, ihn vor Schlimmerem verschont. Nun ist die spartanische Diszipliniertheit ein wenig gewichen, und instrumentenverliebt werden von Remo Park „klassische“ Tonfolgen den Gitarrenhals hoch- und runtergetrieben, bis es warm und sehnend aus den Boxen kreischt und fiept. Länger und schneller und härter wäre es Heavy Metal. Doch in alter „Haut„-Manier bewahrt er sich den Hauch modernistischer Neonhipness und taucht die Gitarre nie zu tief in rustikales Rock'n'Roll-Gestampfe. Ihm reicht eine Coverversion von „Faith Healer“, der Überhymne des Ultrasuffrockers Alex Harvey, um sich an der guten alten Zeit zu vergehen. Die spielt er weitgehend elektronisch ein und besetzt die Rolle des reibeisernen Stimmbandbändigers Alex neu. Mit der eigenen Stimme bekommt der Song dieses „Berlin-Flair“, wie es Jürgen Prochnow oder Richy Müller in New-Wave-Streifen der Bavariafilm verkörpern. Statt Wohnstube Fabriketage mit Blick auf den Ostfernsehturm. Ein Saxophonsolo hat Remo Park glücklicherweise weggelassen.

Der größere Teil der Songs spielt sich „Unter Tage“ ab, wahlweise im Keller, noch tiefer gelegen oder ganz im Dunkeln. Düstere Klänge, sich verwirrende und verzettelnde Rythmen, faserige und gespalten-spröde Melodien beherrschen die Szene. Zwischen EX&POP-Absturz und Studioraum hat der bastelnde Musiker nicht nur massenhaft Ideen produziert, sondern mehr noch die Fäden verloren, die Hörende durch die wirre Architektur der Stücke hätte führen können. Als hätte sich ein Speed-Freak im Rausch festgewurselt, und nun kommt er da nicht mehr heraus. Darin kann man ihn guten Gewissens belassen.

Zum Tanzen soll die Platte sein. Neben Faith Healer“ sind „Star On Fire II“ und „For The Sun“ die Stücke, in denen es Remo Park nebst Begleitband „The Chasm“ gelingt, tanzbar Schwermut umzusetzen, Schwermut tanzbar zu machen.

Thomas Winkler/Harald Fricke