ZWISCHEN DEN RILLEN

■ Blues aus New Orleans, Jazz aus Brookly

VON CARLO INGELFINGER

Was für ein Einstieg! „Walking on a Tightrope, Heading for the Twilight Zone...“ Eine volle, kräftige Stimme, ein pulsierender, klar akzentuierter Beat, ein Text, der die Phantasie in Gang setzt. Der Sänger ist Johnny Adams, der Songwriter Percy Mayfield.

Percy Mayfield schrieb in den 50er und 60er Jahren eine Reihe von Klassikern der schwarzen Musik (Please Send Me Somenone To Love). In seinen besten Momenten verstand er es, Alltagsbeschreibungen von Liebe und Verlassenwerden, traditionelles Material von Blues, R&B und Soul zu verbinden mit resignativer Gesellschaftskritik: Ein „Zwielicht“ entsteht, Konturen verwischen, die Spannung wird verstärkt durch den schleppenden Rhythmus der meist langsamen Songs.

Mayfield sang mit warmem, seidigen Bariton, Johnny Adams‘ Stimme ist heller, kehliger, zupackender. Beiden gemeinsam ist ein leichter Hang zum Kitsch, den Adams gut im Zaum hält. Als Mayfield seine ersten Hits hatte, stieg der inzwischen 56jährige Adams gerade ins Musikgeschäft ein; einer aus der Kohorte der New Orleans-Musiker, die seit den 50er Jahren eine stabile Clique von fähigen und oft inspirierten Profis bilden, Meistermixer der aus R&B, karibischen Rhythmen und einem Schuß Jazz zusammengerührten Cocktails, die je nach Auf und Ab der Popmusik mal lokaler Tip, mal Welthit waren.

Daß diese Mixtur in immer neuen Aufnahmen dokumentiert wird, ist unter anderem dem (immer noch) kleinen „Rounder„ -Label zu verdanken, das auch diese Platte produziert hat. Dem Team gelingen immer wieder Neu- oder Wiederentdeckungen. Ein Schwerpunkt des Programms ist moderner Blues. Dabei neigt der Sound der perfekten Begleitgruppen ein bißchen zur Stromlinie, auch auf einigen Stücken der Percy Mayfield -Hommage von Johnny Adams. Die ist insgesamt zu einem Set von solidem, jazzigem, swingendem Blues mit fesselnden Momenten geraten. Das intensive kleine Kabinettstück Tightrope sprengt diesen Rahmen.

Eine andere eng verzahnte Gruppe von Musikern macht neue Musik in New York City. Zentrum des Zirkels ist die „Knitting Factory“ in Manhattans Houston Street, ihr Exponent der hemmungslose Eklektiker John Zorn. Nur begrenzt gehören dazu die Musiker eines Ablegers dieser Szene in Brooklyn. Hier wird „schwärzere“, eindeutiger definierte Musik gemacht. Man bezieht sich auf Funk und zeitgenössischen Jazz, aber es sind auch „Enkel“ dabei von so verschiedenen Avantgarde-Jazzern der sechziger wie dem Gitarristen Sonny Sharrock und Ornette Coleman, der sich wiederum als einer der ersten in den siebziger Jahren in der Gruppe „Prime Time“ von der nachfolgenden Generation anregen ließ und sie inspirierte.

Klar, daß die Musiker dieser Szene gegenseitig bei ihren Aufnahmen mitmischen. Ein Gutteil von ihnen, so die Saxophonisten Greg Osby, Steve Coleman und Gary Thomas, der Posaunist Robin Eubanks und der Bassist Lennie Plaxico begleitet in wechselnden Besetzungen die Sängerin Cassandra Wilson auf ihrer Einspielung Jump World. Basis der meisten Stücke sind mitreißende, komplexe Funk-Rhythmen, denen in ihren Soli ab und an auch die Bläser, der Gitarrist David Gilmore und der Keyboarder Rod Williams verfallen. Cassandra Wilson setzt ihre unverwechselbare dunkle und eigenartig nasale Stimme gern in schnörkellosen, zunächst monoton klingenden Songs ein. Zwischendurch bricht sie in vertrackte Harmoniesprünge oder himmelhochjauchzenden Scat aus, hat aber auch eher traditionelle Balladen im Repertoire. Die Texte der Stücke sind weit weniger ambitioniert als die Musik: Viel Phrase und BlaBla in sozialer Anklage und persönlichen Erfahrungsberichten. Musik zum Hinhören mit Texten zum Weghören.

„Diese Werke sind inspiriert von den Lehren und der Philosophie von Malcolm X, dessen ganze Existenz dem Werben für Wandel und konstruktivem, progressivem Denken gewidmet war“. So stellt Greg Osby seine Platte Season Of Renewal vor und liefert damit nebenbei eine bemerkenswert einseitige Interpretation des 1965 ermordeten schwarzen Revolutionärs, der für die junge schwarze Generation inzwischen zur Identifikationsfigur, zur Ikone geworden ist. Programmatik beiseite: Greg Osby bläst ein sauberes, volles Alt- und Sopransaxophon, bevorzugt einen einfacheren, aber von Stück zu Stück abwechslungsreicheren Rhythmus als Kollegin Wilson (die übrigens auch hier dabei ist) und variiert zwischen komplizierten Melodiebögen, zerrissenen Soli und langgezogenen Tonfolgen, die sich in Klangwolken von Keyboards und Synthesizer auflösen. Die beiden Gitarristen Kevin Eubanks und Kevin McNeal spielen sich Cluster und Single notes zu, und ab und zu verfremden sie und Osby ihre Instrumente per Synthesizer. Enchantement und Spirit Hour geraten da zu pathetisch-sphärischen Geschmacksverirrungen, in Mischief Makers und Eye Witness dagegen treten die Tugenden des Brooklyn-Gebräus und Greg Osbys ans Licht: Bewußt rauh, aber nicht roh, nicht brutal gespielte lapidare Geschichten aus der Großstadt.

Die Szene um die „Knitting Factory“ wird auf Platte gehegt und gepflegt von der Münchener Firma JMT. Der Sampler The Best Of Jazz Music Today ist die uneingeschränkt empfehlenswerte Möglichkeit, die JMT-Produktion kennen zu lernen. Aufnahmen von John McLaughlin und Paul Motian zeigen, daß „downtown music“ nicht mehr alleiniger Schwerpunkt ist. Ich bin neugierig geworden auf das Album Dedication der beiden Posaunisten Robin Eubanks und Steve Turre. Nach dem Appetithappen Perpetual Groove zu schließen, muß es eine fantastische Mischung aus Neobop und kochenden Rhythmen sein.

Johnny Adams: Walking On A Tightrope. The Songs Of Percy Mayfield (Zensor ZS 89), Cassandra Wilson: Jump World (JMT 834434), Greg Osby: Season Of Renewal (JMT 834435), The Best Of Jazz Music Today (JMT 834438). BLUES AUS NEW ORLEANS, JAZZ AUS BROOKLYN