Das Eigentum ist besiegt!

■ Vor 150 Jahren wurde Proudhons legendäre Schrift über das Eigentum von der Akademie Besan?on abgelehnt. Kein Nachruf

Es mag unpassend, aber deswegen gerade an der Zeit sein, in diesen Tagen der Treuhänderei auf jene Jahresarbeit eines Stipendiaten der Suard-Stiftung hinzuweisen, die vor 150 Jahren unter großer Entrüstung von der wissenschaftlichen Akademie zu Besan?on abgelehnt wurde. Das Thema der Abhandlung: „Was ist Eigentum?“ Die Conclusio: „Eigentum ist Diebstahl!“ Der Name des unglücklichen Stipendiaten: Pierre Joseph Proudhon, Ahnherr des libertären Sozialismus.

Den braven Akademikern muß es noch lange in den Ohren geklungen haben, was ihnen ihr damals schon 31jähriger Zögling (als Sohn eines Faßbinders mußte Proudhon den zweiten Bildungsweg einschlagen) als Resultat seiner Studien auftischte: „Wenn ich auf die Frage: 'Was ist Sklaverei?‘ kurz antwortete: 'Sie ist Mord!‘, so würde man meinen Gedanken sogleich verstehen. Mit wenigen Worten könnte ich zeigen, daß die Gewalt, welche die Gedanken, den Willen und die Persönlichkeit des Menschen knebeln, eine Gewalt auf Leben und Tod ist und daß somit 'einen Menschen versklaven‘ gleichbedeutend ist mit 'ihn morden‘. Warum also kann ich auf die Frage: 'Was ist Eigentum?‘ nicht ebensogut antworten: 'Es ist Diebstahl!‘, ohne allgemein unverstanden zu bleiben? Und doch ist dieser zweite Satz nur die Umschreibung des ersten.“

Und deswegen macht sich Proudhon auch ohne falsche Scham daran, seine einfache Wahrheit mit einem umfangreichen Apparat aus Axiomen, Prinzipien, Hypo- und Antithesen zu belegen, wie es sich für einen Suard-Stipendiaten gehört. „Wie nämlich“, so fährt er fort, „könnte Eigentum begründet werden? Weil irgend jemand zuerst an einem Ort war, der vorher keinem, also allen gehörte? Absurd! Denn wenn die ersten Besetzenden alles besetzt haben, was sollen dann die zuletzt Gekommenen besetzen? Eben weil die menschliche Gemeinschaft keine 'Reise nach Jerusalem‘ ist, bei der die Zuspätgekommenen die Dummen sind und bleiben, kann es ein Besitz-Recht nur 'auf das, was für unsre Arbeit und unseren Verbrauch ausreicht‘ geben.“

Wenn überhaupt. Denn auch Arbeit kann Eigentum nicht legitimieren. Zum einen sind die natürlichen Ressourcen etwas Gegebenes, also Nicht-Aneignungsfähiges; zum anderen eignet sich jede auch noch so individuelle Produktion immer eine „force collective“ an, eine Art systematischen Mehrwerts in der Gesellschaft, der die Summe der individuellen Arbeiten übersteigt. Folglich ist keine Arbeit individuell, ergo ist sie als solche mit dem Besitz-Prinzip unvereinbar.

So kann Proudhon all denen, die es normal finden, wenn Gemeineigentum durch einen vom Staat eingesetzten Verwalter an Private verkauft wird, entgegenhalten: „Was! Weil ein verschwenderischer, unkluger oder ungeschickter Minister die Staatsgüter verkauft, ohne daß ich dagegen Einspruch erheben kann, ich, der Mündel des Staates, ich, der ich weder beratende noch entscheidende Stimme im Staatsrat habe, deshalb soll dieser Verkauf gut und gesetzlich sein? Die Vormünder des Volkes verschwenden sein Erbteil, und man kann nichts dagegen tun. Und welch Aberwitz, sich vierzig Jahre nach der Herstellung des natürlichen Zustands (also der Enteignung der Aneigner) wieder vor einem Haus einzufinden und mit dem Grundtitel des längst verblichenen Vaters sein 'Recht‘ einzufordern! Was ist denn nun das Zuwachs-Recht, das Recht der Erbfolge, das Recht der Schenkung usw. anderes als das Recht, durch die einfache Okkupation Eigentümer zu werden.“

Nicht, daß er ein Verfechter des Kollektiveigentums wäre in dem nur Besitz-Herrschaft umgedreht und die Schwachen über die Starken herrschen würden. Die Gefahr eines Mißbrauchs des Eigentums kann nicht durch Verstaatlichung zur allgemeinen Zufriedenheit „aufgehoben“ werden. Karl Marx, ein frühreifer Zeitgenosse Proudhons, der 1840 mit dem Verfassen schmachtender Gedichte beschäftigt war, lobte dessen Jahresarbeit „Qu'est-ce que la propriete?“ zwar zunächst noch als „erstes wissenschaftliches Manifest des Proletariats“, las dann jedoch etwas genauer nach und entlarvte den mittellosen Faßbindersohn später als Kleinbürger. Denn allerdings brauche, so Proudhon, der einzelne seinen Besitz, ohne den ihm „der ständige Arbeitsanreiz“ fehlen würde. Aber einen Besitz nach menschlichem Maß: Kooperativen, Genossenschaften, Handwerkskollektive und Einzelhändler.

Wenn ihr also schon Parteieigentum auflösen wollt, hätte Proudhon den Treuhändern gesagt, dann verteilt es gefälligst an die, die dafür vierzig Jahre geschuftet haben - und ohne Umweg über den Staat! Denn: „Wer hat das Recht, sie (die sozialisierten Ländereien, d. Red.) zu verkaufen? Selbst wenn das Volk Eigentümer wäre, kann die jetzige Generation die kommende aus ihrem Besitz verweisen? Das Volk besitzt als Nießbraucher; die Regierung regiert, überwacht, beschützt und vollzieht die Handlungen der verteilenden Gerechtigkeit; und wenn sie auch den Boden abtritt, so kann sie nur seinen Gebrauch überlassen; sie hat nicht das Recht, irgend etwas zu verkaufen oder zu veräußern.“ Weg mit Bitterfeld - her mit ein, zwei, drei, ganz vielen Netzwerken der Klitschen und Anti-Kombinate!

Nach 250 großformatigen Seiten besteht kein Zweifel mehr: „Ich habe die mir gestellte Aufgabe vollendet; das Eigentum ist besiegt und wird sich nie wieder erheben. Überall, wo diese Schrift gelesen und verbreitet wird, wird der Samen für den Tod des Eigentums gelegt. (...) Also werden sie sich in einer unerschütterlichen Bruderschaft vereinen, Große und Kleine, Gelehrte und Unwissende, Reiche und Arme; und alle zusammen werden sie die neue Hymne singen und Dir Deinen Altar errichten, Gott der Freiheit und der Gleichheit!“ Die Gelehrten der Akademie von Besan?on errichteten allerdings zunächst eine einstweilige Verfügung und ein Publikationsverbot. Am 24. August, vor 150 Jahren.

Alexander Smoltczyk