„Also a Bruschetta die g'hört dazu“

■ Italo-Gastronomie und Teutonen-Freßimport

Aus Rom Werner Raith

Die Szene hat Uralt-Charakter, nur die Ingredienzien wechseln; und genau da liegt denn auch die Würze der Veranstaltung: die Trattoria, die Osteria oder das Ristorante nimmt, bereitwillig ob der winkenden „soldi“, den teutonischen Gast auf und dieser wiederum Platz am angebotenen und durch eiliges Lüpfen und Niederschwebenlassen des Tischtuchs gesäuberten „tavolo“, fest entschlossen, seine volkshochschulerprobte Qualität als Fast-Einheimischer oder zumindest alter Hase in Sachen Italo -Gastronomie unter Beweis zu stellen.

Bis zu diesem Zeitpunkt ist die Szene beiderseits durchstudiert. Doch dann beginnen die Probleme. Denn Jahr für Jahr kommt der Gast aus teutschen Landen an den Tisch mit frisch erlerntem Spezialwissen, was man denn in Italien so alles zu sich nimmt - und in der Regel weiß er, VHS sei Dank, auch, wie das zubereitet wird, ja, ist am heimischen Herd unbestrittener ChampionEssa in „Cucina italiana“. Doch plötzlich nutzt weder das Wissen um Zutaten und Bruzzelzeit noch der mühsam erlernte O-Ton Süd, weil Italiens Gastronomen inzwischen Einschlägiges stark verändert haben, die Einheimischen das Gericht derzeit oder überhaupt ganz anders produzieren, als es der die „Italiano-Fibel“ empfohlen hat.

So haben in den fünfziger Jahren Millionen Deutscher am tückischen Objekt in mühseliger Heimarbeit gelernt, bei den Spaghetti das Messer wegzulassen und die langen Nudeln in den Löffel hineinzudrehen, wie es der Wirt in Venedig einmal - aber auch nur ein einziges Mal - mit kühnem Schwung vorgemacht und der VHS-Lehrer beim Abschlußessen „bei Gino“ im Odenwald in Zeitlupe wiederholt hat.

Doch kaum war der geniale Dreher zu deutscher Perfektion gediehen, o Schande, da lieferten die Italo-Wirte keinen Löffel mehr mit, man dreht nur noch mit der Gabel. Germaniens Nudelindustrie nahm mächtigen Aufschwung, gefragt waren nun superlange Fäden. Weltniveau war nach einiger Zeit wieder erreicht - doch nun brachen die Italiener die Nudeln vor dem Wurf ins kochende Salzwasser in kleine Stücke - aus war's mit der Dreherei, die kurzen Dinger glipschen seither von der Gabel, man muß nun Balancieren lernen.

Das Ganze erscheint manchem als systematischer Rachefeldzug. Und da ist was dran. Denn nichts ist für die meisten italienischen Köche so abscheulich wie der deutsche Fremdling, der sich als gastronomischer Spezialist fühlt. Und davon gibt es nicht wenige.

Etwa beim Pizzabacken. Von Einheimischen seit jeher - die Tradition reicht bis in die Renaissance - als eine Art Fastfood und Kinderteller geschätzt (besonders in seiner beliebten Form „Margherita“ mit Tomaten, Mozzarella und Basilikum), entwickelte sich die Pizza zum Lieblingsessen der Deutschen bei sich zu Hause im „Ristorante da Gino“. Gino erkannte freilich bald, daß er mit seinem heimischen Rezept eines hauchdünnen Teigs, Ränder verbrannt und sehr krostig, nordische Mägen nur unzureichend füllen und schon gar nicht den nach südlichem Styling suchenden Blick befriedigen konnte. Also buk er fortan eher zähdicke, dafür aber schöne runde und randig goldbraune Teigfladen mit viel Krimskrams drauf, nach dem sich auch die Benennung richtet und insbesondere der Preis dafür.

Die Katastrophe kam mit dem Feedback in den Süden: Dort saßen die in Urlaub weilenden Germanen plötzlich vor einer Sorte Pizza - der originalen - die ihnen ganz und gar nicht schmeckte, und so herrschte alsbald der unabänderliche Urteilsspruch: „Also die Pizza, die macht unser Gino in Castrop-Rauxel wesentlich besser.“ So mancher Gino, heimgekehrt und nun auf Vatererde Besitzer einer Trattoria, behielt die Rezepte aus dem Norden bei, erfreut sich seither vieler ausländischer Kundschaft - und wird von seinesgleichen gemieden, weil das pappige Ding in italienischen Gaumen regelrechtes Entsetzen hervorruft.

Die nächste angestammte Speise, die wohl vom Tisch italienischer Trattorien verschwinden wird, ist die Bruschetta, vulgo Tomatenbrot, geröstet, mit Zwiebel und viel Öl versetzt und einst gratis zum Vorbereiten des Magens auf die Vorspeise angeboten. „Hams a Bruschetta?“ tönt es seit ein, zwei Jahren zwischen Garda und Agrigent über die Tische, weil „a Bruschetta g'hört einfach zum Essen„; seither gilt es als eigenes Antipasto und kostet auch entsprechend. Freilich: auch hier hat der Gast seine präzisen Vorstellungen: „Also de Tomaten, de san nix. Da müßt'ns amal die in meim Garten in Germering probiern...“ Der arme Gino seufzt: In Germering, ja, da hat er einst sein Lokal gehabt. Doch da haben ihm die Gäste die Nerven zerrüttet mit ihren Erzählungen, daß sie grade von Sperlonga zurückgekommen seien - „Kennst Sperlonga, Gino? Da mußt amal hinfahrn, schon wegen der schönen Aussicht“ - und außerdem da, in Sperlonga, „da habens Tomaten, Gino, kann ich dir nur sagen, Tomaten hams da...“

Der einzige Trost: In ein paar Jahren wird für die italienische Küche wieder ein anderes Gericht stehen, und schüchtern - wie derzeit langsam wieder eine Pizza mit dünnem Teig und verbruzzelt - wird dann auch wieder die Bruschetta und Tiramisu all'italiana und nicht alla tedesca auf die Tische kommen.