UdSSR bröselt weiter auseinander

■ Tadschikistan erklärt sich souverän, Abchasien unabhängig / Konflikt Union-Russische Föderation

Berlin (dpa/adn/taz) - Als zwölfte der 15 Sowjetrepubliken hat sich die zentralasiatische Sowjetrepublik Tadschikistan am Wochenende für souverän erklärt. Dem voraus gingen zwar „erbitterte Debatten“, wie es die sowjetische Nachrichtenagentur 'Tass‘ umschreibt. Doch schließlich war sich die überwältigende Mehrheit des Obersten Sowjets der Republik einig, eine Deklaration als „souveräner, multiethnischer, sozialistischer Staat“ abzugeben. Unionsgesetze, die Rechtsakten der tadschikischen Sowjetrepublik widersprechen, werden außer Kraft gesetzt.

Doch für die gestreßten Mitglieder der Moskauer Zentralregierung kam es noch schlimmer: Am Samstag flatterte dann auch noch - zwar nicht ganz unerwartet - die Erklärung des Obersten Sowjets der Autonomen Republik Abchasien auf den Tisch. Der hatte nämlich gerade mit 70 von 72 Stimmen die Annullierung der Abhängigkeit des 86.000 Quadratkilometer großen und von 500.000 Menschen bewohnten Gebietes von der Republik Georgien beschlossen. Die Erklärung beinhaltet die Wiederherstellung der Republik in der Form, wie sie 1921 bestanden hatte, bevor sie in die Sowjetrepublik Georgien eingegliedert wurde.

Anders als bei den baltischen Republiken, die praktisch die staatliche Unabhängigkeit anstreben, geht es bei den Unabhängigkeitserklärungen der anderen Sowjetrepubliken vor allem darum, bei der Aushandlung eines neuen Unionsvertrages nicht ins Hintertreffen zu geraten - oder, wie im Falle Abchasiens, bei einer Neuordnung die bestehenden Ansprüche und Forderungen überhaupt erst deutlich zu machen.

Wie kompliziert eine Neuordnung der Kompetenzverteilung zwischen Unionsregierung und Republiken werden wird, zeigt der Streit zwischen der Russischen Föderation und Gorbatschow, der in den letzten Tagen in Moskau die Gemüter erhitzte. Dabei ging es um ein Dekret des Präsidiums des Obersten Sowjets der Russischen Föderation „zum Schutz der wirtschaftlichen Grundlage der Souveränität der RSFSR“, das am 10.August erlassen wurde. Darin wird der sowjetischen Regierung untersagt, Abkommen ohne Zustimmung Rußlands abzuschließen, die den Verkauf von Metallen, Diamanten, Öl, Gas, Uran und bestimmten Fertigwaren aus der RSFSR vorsehen. Praktisch bedeutet dieses Dekret den Verlust jeglichen Handlungsspielraums der sowjetischen Regierung, zumindest im Bereich des Außenhandels. So war es kein Wunder, daß Gorbatschow am letzten Donnerstag das Dekret mit seinen Vollmachten außer Kraft setzte. Und das bisher mit Erfolg: Sogar der Russische Präsident Boris Jelzin mußte am Freitag einräumen, daß das Dekret der Russischen Föderation ungültig sei, weil es nur vom Präsidium des Obersten Sowjets beschlossen wurde und nicht vom gesamten Parlament. Doch der dahinterstehende Verfassungskonflikt ist keineswegs beseitigt. Jelzins Aussage, Gorbatschow habe wieder einen Fehler gemacht, weil er die Souveränität Rußlands verletzte, zeigt das Dilemma des Verhältnisses zwischen Union und Republiken. Weil die Kompetenzen der Union und der Republiken nicht aus einem „common sense“ erwachsen sind, ist ein rechtsfreier Raum entstanden: Einerseits beruhen die jeweiligen Kompetenzen nach wie vor auf den rechtlichen Konstruktionen der alten Kommandostrukturen, andererseits werden sie von den Souveränitätserklärungen der Republiken unterhölt. Nur ein neuer Unionsvertrag kann den Verfassungskonflikt regeln.

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