Fettes Gelage zum Wohl des Wattenmeers

■ Beim 10. Internationalen Wattenmeertag herrscht die Atmosphäre eines Familientreffens / Dinner, Folk-Melodien und große Töne / Wenn Industrie und Umweltschutz Hand in Hand gehen, gibt es „bald nichts mehr zu schützen“

Aus dem Watt Gerd Rosenkranz

Esbjerg/Tönder (taz) - Was um alles in der Welt hat die amerikanische Folk-Legende Pete Seeger mit dem deutsch -dänisch-holländischen Wattenmeer zu schaffen? Bis vor zwei Jahren - so ist zu vermuten - wußte der alte Mann nicht mal von der Existenz dieser auf der Welt einzigartigen Zwitterregion zwischen Wasser und Land. Dann schwappten die Schreckensbilder eines sterbenden Meeres auch in die Wohnstuben jenseits des großen Teiches. Wir erinnern uns: Explosionsartig sich vermehrende Killeralgen hatten in der Nordsee gruselige Unterwasser-Todeszonen hinterlassen. Tausende Seehunde verendeten auf den Sandbänken, wochenlang richtete der mutmaßlich letzte Heuler seinen traurig -vorwurfsvollen Kugelaugen via TV auf seine Peiniger.

Die Wirkung blieb nicht aus - selbst im fernen New York nicht. Pete Seeger, seit den sechziger Jahren engagiert in jenem legendären „Clearwater project“, das aus der New Yorker Industrie-Kloake Hudson River wieder einen Fluß zum Baden machen wollte (mit großem Erfolg, wie der Barde berichtet), entdeckte sein Herz fürs Wattenmeer. Das Ergebnis war am Donnerstag an der dänischen Nordseeküste zu besichtigen. Seeger als Medienmagneten kommt das Verdienst zu, daß der „Zehnte Internationale Wattenmeertag“ zwei Jahre nach der Katastrophe nicht gänzlich zum Flop wurde.

Schon am Morgen, im Fischereimuseum der jütländischen Hafenstadt Esbjerg, wurde unter den rund 150 TeilnehmerInnen - vornehmlich professionelle Umweltschützer, Politiker und Pete Seeger als wißbegieriger Gast - die Tagesparole ausgegeben: Harmonisch sollte es zugehen und kooperativ. Vertreter von Greenpeace, des World Wildlife Fund (WWF), des internationalen Meeresschützer-Dachverbandes „Seas at Risk“ und der Gruppe der Inselbürgermeister durften ihre Aktivitäten zur Rettung der bedrohten Region zum besten geben.

Harmonisch und kooperativ: Applaus!

Der Applaus war ihnen sicher, ebenso wie dem schleswig -holsteinischen Umweltminister Berndt Heydemann, der als ehemaliger Uni-Professor und Wattenmeerexperte gern über seinen Schritt vom Institutsdirektor ins rauhe politische Geschäft philosophiert. Heydemann, von weniger gutwilligen Umweltaktivisten als „Nullnummer“ im Kabinett Engholm eingestuft, verlangte, die Natur als Vorbild anzuerkennen. Eine „neue Industrie“ müsse her, mit dem Ziel einer „vollständigen Recyclierung aller Umsetzungsprodukte“. Das klang gut. Doch als Peter Prokosch, der zuständige WWF -Experte, vorsichtig anfragte, ob es nicht möglich wäre, wenigstens die Hälfte der schlickigen Fläche „unberührt vom Menschen“ zu lassen, wurde der Minister ziemlich kleinlaut. Das sei eine Frage des Geldes. Dann müßten Sozialprogramme für die Muschelfischer bereitgestellt werden, die dort ihre Muschelmononokulturen seit Mitte der 80er Jahre haben. Sie konkurrieren mit über 250 Arten, die der Nährstoffreichtum des Wattenmeers versorgt. Die Hälfte aller Nordseefische hat hier ihre Laichgebiete, und zehn Millionen Zugvögel legen ihre Ruhepausen im Watt ein.

„Hand in Hand“

am Strand

Beifall erntete nach Heydemann auch die Abgesandte des dänischen Umweltministers Leo Björnskov, die jene uralte Politiker-Weisheit zum besten gab, deren Umsetzung den allmählichen Tod der Wattenmeerregion erst möglich gemacht hat: Der Schutz des Wattenmeeres und seine industrielle Nutzung müßten „Hand in Hand gehen“. Als daraufhin dem langjährigen Sprecher der Aktionskonferenz Nordsee, Peter Willers, der Kragen platzte, wurde auch da geklatscht. Willers: Wenn man sich weiter mit der zwar richtigen Einrichtung von Wattenmeer-Nationalparks oder der Begrenzung der Muschelfischerei begnüge, könne bald ein Zustand eintreten, bei dem „es nichts mehr zu schützen gibt“. Die Schwermetall- und Chemikalienbelastung der Nordsee habe in den achtziger Jahren dramatisch zugenommen. Die „große Diskussion“ über unsere Art zu produzieren und zu konsumieren, müsse auf den Tisch, wenn nicht „unsere ganze Arbeit umsonst gewesen sein soll“.

Die Atmosphäre eines freundlichen Familientreffens vermochte - wie gesagt - auch dieser Aufschrei nicht zu stören. Per Bus wurden die Konferenzteilnehmer später zu den „Kammerslusen“, einer der alten dänischen Stadt Ribe vorgelagerten Schleusenanlage, gekarrt und von dort aus dem Objekt ihrer Bemühungen nähergebracht - mit einem vollen Dutzend Motorbooten und mehreren Fernsehteams: Am Abend flimmerte Pete Seeger, nachdenklich am Mast einer alten Holzbark lehnend, über dänische Fernsehschirme.

Als letzte Station erreichten die Wattenmeerschützer am Abend Tönder, eine wunderschöne Kleinstadt nahe der deutsch -dänischen Grenze, deren Einwohnerzahl (15.000) sich an diesem Wochenende wie in jedem Jahr kurzfristig verdoppelte. Nicht etwa der Wattenmeertag war für die Invasion verantwortlich, sondern das Tönder-Folk-Festival. Dieses Jahr zum Auftakt gab Pete Seeger gemeinsam mit zahlreichen anderen Folk-Größen zumeist vergangener Zeiten ein Gala -Konzert - zur Rettung des Wattenmeers. Zuvor bat Tönders Bürgermeisters Kurt Johannsen zu einem Galaempfang mit üppigem Dinner ins Rathaus. Umweltschutz als gesellschaftliches Ereignis.

Pete Seeger, zu dessen Ehren das ganze arrangiert wurden, hatte sich unterdessen für ein Nickerchen zurückgezogen. Mag auch sein, daß der weise alte Mann über seinen Auftaktsong an diesem Abend nachdachte: „Where will the world go, when I'm far away.“