Zweite West-Garnitur führt DDR-Wahlkampf

■ Auftakt mit Parteitagsmarathon - Kabbelei der bundesdeutschen Ex-Generalsekretäre um Kandidatur: Biedenkopf sticht Geißler aus und soll für CDU in Sachsen antreten / Anke Fuchs und Schleswig-Holsteins Justizminister starten für die Sozis

Berlin (taz/dpa/ap/adn) - Mit importierten Bundespolitikern der zweiten Garnitur gehen CDU- und SPD-Ost in die ersten DDR-Landtagswahlen am 14. Oktober. Auf einer Serie von Landesparteitagen haben die DDR-Parteien den Wahlkampf eröffnet. Die CDU Sachsen nominierte am Samstag den CDU-Bundestagsabgeordneten Kurt Biedenkopf zu ihrem Spitzenkandidaten. Dieser ist damit Gegner von SPD -Bundesgeschäftsführerin Anke Fuchs, die für die SPD in Sachsen antritt. Die Kandidatenkür des in der Bundes-CDU weithin verschmähten „Querdenkers“ Biedenkopf galt allgemein als Überraschung. Der CDU-Landesvorstand einigte sich in Chemnitz einstimmig darauf, den promovierten Juristen und Volkswirt ins Rennen um das Ministerpräsidentenamt zu schicken. Der abgehalfterte CDU-Generalsekretär, der seit April Gastvorlesungen in Leipzig hält, muß als Kandidat noch durch den Landesparteitag am kommenden Wochenende bestätigt werden. Seine Kandidatur hatte der baden-württembergische Ministerpräsident Lothar Späth (CDU) vermittelt, der in Chemnitz Biedenkopf als „absoluten Spitzenmann“ anpries. Nach dieser Vorentscheidung ist ein anderer Ex -Generalsekretär offensichtlich aus dem Rennen: der CDU-Vize Heiner Geißler. Der wegen seiner Vergangenheit als Bezirkschef der ehemaligen Blockpartei CDU kritisierte sächsische CDU-Chef Klaus Reichenbach zog seine Kandidatur zurück und darf nun auf ein Amt in Bonn hoffen.

Für die Sachsen-FDP nominierte die Chemnitzer Landesvertreterkonferenz den Liberalen DDR -Wohnungsbauminister Axel Viehweger. Auch hier fehlte ein West-Pate nicht: Wolfgang Mischnick, Chef der Bonner FDP -Fraktion, war zugegen und wollte eine Kandidatur für die gesamtdeutschen Dezemberwahlen nicht ausschließen.

Bei der CDU Brandenburg machte DDR-Innenminister Peter -Michael Diestel das Rennen. Mit großer Mehrheit wählten 178 der 195 anwesenden Delegierten den abgewanderten DSUler, der nach eigenen Worten „kein vornehmer Ministerpräsident sein will“. Diestel: „Ein Glas Bier und eine Weißwurst sind mir lieber“. In leicht verständlichen Worten charakterisierte Diestel sein Verhältnis zu Lothar de Maiziere: Er sei während seiner Amtszeit als Innenminister mit ihm „wie Dick und Doof“ durch die Regierungsarbeit gegangen. Die anfängliche Begeisterung auf dem CDU-Parteitag in Werder wich allerdings schon kurz nach Beginn. Es kam zu Querelen insbesondere über die vom Landesvorstand aufgestellte Kandidatenliste. Parteimitglieder monierten, daß es teilweise an Direktkandidaten aus den Kreisen fehle, andere Personen seien „unter dubiosen Umständen“ plötzlich auf die Liste gekommen.

Für die krisengeschüttelte Bergbauregion Thüringen schickt die SPD einen ehemaligen Möchtegern-Ministerpräsidenten aus Nordrhein-Westfalen in den Ring - Friedhelm Farthmann. Der Parteitag in Jena kürte ihn mit 117 von 125 Stimmen zum Spitzenkandidaten. Im Falle seines Sieges will der erfahrene Zechenschließer aus dem Ruhrpott seine Kenntnisse bei den Kali-Kumpeln und Uran-Bergleuten ausprobieren. In den ersten 100 Tagen soll die Wirtschaft angekurbelt werden, ein „grüner Plan“ im „grünen Herzen Deutschlands“ mit einer Tourismus-Offensive den erhofften Aufschwung bescheren. Für den Fall, daß die Thüringer ihr Kreuzchen beim Gegenkandidaten machen, hat Farthmann die Rückfahrkarte schon in der Tasche: Er bliebe nur, wenn er gebraucht würde, seine Düsseldorfer Stelle habe er vorerst noch nicht gekündigt. Gegen Farthmann tritt in Thüringen der neue CDU -Landesvorsitzende Willibald Böck an. Lehrer Böck versteht sich als Vorkämpfer gegen den Zentralismus und forderte für die wirtschaftliche Gesundung der Länder die Übertragung der Hoheit über die Treuhandgesellschaft. Der Jenaer CDU -Parteitag hatte mit einer Ehrenerklärung den einstigen Generalsekretär der Partei, Martin Kirchner, für unbedenklich erklärt. Kirchner kam nach Berichten des 'Stern‘ über seine suspekte Stasi-Vergangenheit ins Gerede.

Ein Überraschungsbeispiel für Bodenständigkeit brachte der Parteitag der CDU Mecklenburg-Vorpommern, der in Schwerin den Greifswalder Hochschullehrer Alfred Gomolka zum Spitzenkandidaten wählte. Der 48jährige gewann mit 125 von 192 gültigen Stimmen klar.

„Nicht auf Platz, sondern auf Sieg“ setzen die Sozis in Mecklenburg-Vorpommern. Die SPD-Wunderwaffe heißt Klaus Klingner, der seinen derzeitigen Job als Justizminister Schleswig-Holsteins gern gegen den Ministerpräsidentensessel tauschen würde. Im wenig industrialisierten Norden würde die SPD unter anderem ein Sofortprogramm zur Modernisierung der Nahrungsmittelindustrie in Gang setzen.

In Quedlinburg im Bezirk Halle nominierte die SPD Sachsen -Anhalt den Vizepräsidenten der Volkskammer, Reinhard Höppner. Der 41jährige Magdeburger, den Parteichef Wolfgang Thierse „einen der versiertesten und überzeugendsten Parlamentarier in der DDR“ nannte, konnte 91 von 97 Stimmen auf sich vereinigen. Der Landesverband der FDP in Sachsen -Anhalt entschied sich für den 63jährigen Hallenser Arzt Hans-Herbert Haase (Landesparteivize) als Spitzenkandidat.

Thomas Worm