Flüchtling ist nicht gleich Flüchtling

■ An der türkisch-irakischen Grenze haben Pakistanis wenig Chancen, aus dem Irak herauszukommen / Tausende warten mittellos in den irakischen Grenzstädten

Aus Habur Lissy Schmidt

„Nachdem ich das hier erlebt habe, werde ich alles daransetzen, die schwedische Staatsbürgerschaft zu bekommen.“ Dieser Stoßseufzer entfuhr einem kurdischen Journalisten angesichts des ansehnlichen Konvois von Botschaftsangehörigen, die, inclusive medizinischem Personal, geduldig auf türkischer Seite die Ankunft 90 ihrer Landsleute aus dem Irak erwarteten. „Selbst unter den härtesten Bedingungen sind eben manche gleich und andere gleicher.“

Die „Gleicheren“ sind Bürger der neutralen westeuropäischen Staaten, die während der vorübergehenden Schließung der jordanisch-irakischen Grenze versuchten, über die Türkei nach Hause zu kommen. Was auch für die Europäer trotz aller Unterstützung ihrer Regierungen kein leichtes Unterfangen ist, wird dagegen für die asiatischen Flüchtlinge zu einem Alptraum. Vor allem für die rund 10.000 pakistanischen Staatsbürger, die seit einer Woche beide Seiten des Grenzübergangs Habur bevölkern, gibt es keinerlei Unterstützung. 4.000 haben die Grenze in der letzten Woche passiert, rund 6.000-8.000 warten noch auf irakischer Seite. Da die Pakistaner mit rund 120.000 Personen die größte Ausländergruppe in Kuwait stellen, kann man wohl davon ausgehen, daß die Zahl der Flüchtlinge weiter zunehmen wird. Den türkischen Autoritäten schien es deshalb angebracht, von vorneherein zu selektieren. Nur wer mindestens 100 Dollar vorweisen konnte, durfte auf das begehrte türkische Territorium überwechseln. Über diese Summe verfügt tatsächlich nur ein kleinerer Teil der Pakistaner. Während es sich bei den Europäern um Diplomaten, Ingenieure oder leitende Konzernangestellte handelt, sind die Pakistaner hauptsächlich billige Arbeitskräfte auf Kuwaits Baustellen. Die meisten gehören zu der großen Gruppe von Wanderarbeitern, die schon seit Jahren auf den Baustellen am Golf leben. Was sie an persönlichem Eigentum aus Kuwait mitnehmen konnten, wurde ihnen spätestens von den irakischen Zöllnern abgenommen. Viele verkaufen nun ihre Autos zu Schleuderpreisen in den türkischen Grenzstädten, um Geld für die Weiterfahrt nach Pakistan aufzutreiben.

Tagelang füllten pakistanische Flüchtlinge die Teehäuser an der alten Seidenstraße und erkundeten, über Landkarten gebeugt, den Heimweg, für den sie weder Benzin noch Fahrgeld hatten. Sie fluchen über Saddam Hussein, aber auch ihre eigene Regierung, die erst den Tod von zwei Säuglingen in der sengenden Hitze auf der irakischen Seite der Grenze abwartete, bevor sie wenigstens einige Botschaftsangehörige nach Habur schickte. Bevor diese jedoch eintrafen, waren die Pakistaner wieder aus dem Straßenbild verschwunden. In einem großen Konvoi brachte sie die türkische Armee aus der Grenzregion heraus. Am Wochenende erklärte der Gouverneur der Grenzprovinz daraufhin, die Anzahl der pakistanischen Flüchtlinge hätte sich deutlich vermindert und „ein weiterer Flüchtlingsstrom sei nicht zu erwarten“. Tatsächlich berichten Neuankömmlinge dagegen von Zehntausenden von Pakistanern, die bereits in den Grenznahen irakischen Städten Mosul und Arbil eingetroffen seinen.

Überprüfen lassen sich diese Angaben kaum, da die türkischen Autoritäten den Grenzübergang seit Tagen für die Presse gesperrt haben. Kamarateams des schwedischen, finnischen, französischen und deutschen Fernsehens erhielten Drehverbot, dem die entsicherten Gewehre der Soldaten am Grenzübergang den nötigen Nachdruck verliehen. Während die türkischen Massenmedien die Anordnung achselzuckend zur Kenntnis nahmen, reagierten ausländische Journalisten mit wütenden Protesten. „Habur ist momentan die einzige Quelle, direkte Nachrichten aus Kuwait zu erhalten. Ein Presseverbot hier bedeutet, der Welt Nachrichten über die Situation dort vorzuenthalten“, heißt es in einem gemeinsamen Protestschreiben westlicher Medienvertreter. Hartnäckige Gerüchte über die völlige Schließung des Übergangs haben sich dagegen bis heute nicht bewahrheitet. Unterdessen verlegt die türkische Regierung immer mehr Truppenverbände direkt an die Grenze, und Ministerpräsident Akbulut verkündete, man müsse dem Embargo gegen den Irak „allen nötigen Nachdruck verleihen, zur Not auch mit militärischen Mitteln“.