Die Verlierer der Golfkrise

■ Während die Welt über Kriegsszenarien am Golf spekuliert, stehen die ersten Verlierer der Krise bereits fest. Hunderttausende asiatischer und arabischer Arbeiter stehen vor dem Nichts. taz-Korrespondentinnen berichten aus Amman, Kairo und der Türkei über das Elend an den irakischen Grenzen.

Millionen flüchten vor dem drohenden Krieg

Wen immer man in diesen Tagen in Jordanien nach seiner Meinung zur Golfkrise befragt, die Antwort lautet fast regelmäßig, daß sich der irakische Präsident Saddam Hussein der Unterstützung jedes einzelnen Jordaniers sicher sein kann: „Saddam Hussein steht nicht allein.“

Alle Gespräche drehen sich letztlich immer um die gleiche Frage: Wie wird die Machtprobe zwischen dem irakischen und dem amerikanischen Präsidenten ausgehen? Denn so wird die Golfkrise hier von vielen Leuten interpretiert. Wem in dieser drohenden Konfrontation die Loyalität „der Araber“ gehört, steht für die meisten außer Frage. Die wenigen abweichenden Meinungen hingegen werden eher vorsichtig geäußert. Angesichts dieser Stimmung versteht man, daß es nicht allein die drohenden ökonomischen Folgen einer jordanischen Beteiligung an Embargo gegen den Irak waren, die die Regierung seit Wochen zu ihren beeindruckenden Balanceakt zwischen den zunehmenden polarisierten Positionen in der Golfkrise zwang.

Das wochenlange Manövrieren der jordanischen Regierung hat auch den letzten Hitzköpfen in der Bevölkerung Gelegenheit gegeben, sich über die möglichen Konsequenzen einer Zuspitzung klar zu werden, zumal Jordanien bereits jetzt die Folgen der Destabilisierung zu spüren bekommt: Es ist weniger die zeitweise Verknappung einiger Grundnahrungsmittel als vielmehr der Strom übernächtigter Menschen unterschiedlicher Nationalitäten, der nun schon seit Wochen durch Jordanien zieht. Es ist ihr Elend und das, was sie zu erzählen haben, denn sie sind in Ermangelung anderer Quellen zur Zeit die Hauptübermittler von Nachrichten aus dem Krisengebiet.

Nachdem die jordanischen Behörden in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag die jordanisch-irakische Grenze vorrübergehend schließen mußten, werden die Leute nun in Kontingenten von je 20.000 hinüber gelassen. Fast ausnahmslos kommen sie aus armen Ländern und kehren nun mit leeren Taschen und schlechten Aussichten für die Zukunft in ihre Heimatländer zurück. Sie sind die ersten Verlierer in der Golfkrise. Sie kommen zu Tausenden nach tagelanger Reise aus Kuwait oder direkt aus dem Irak an den ersten jordanischen Kontrollposten in Ruweished, der etwa 70 Kilometer der Grenze mitten in der Wüste liegt. Nach wie vor gehen die Schätzungen über die Anzahl der auf irakischer Seite Wartenden in die Zehntausende. Im Schatten der wenigen flachen Betonbauten von Ruweished, die weit und breit die einzige Erhebung in der vor Hitze flirrenden Wüste sind, haben sich die soeben Angekommenen mehr schlecht als recht auf Pappkartons, Zeitungen und mitgebrachten Decken niedergelassen. Die meisten sind Männer. In Abständen von etwa einer Stunde kommen immer neue Gruppen von Osten in die Grenzstation, glückliche unter ihnen mit dem Auto, die anderen zu Fuß, mit unfaßbar großen Koffern oder Bündeln auf dem Rücken. Der Schweiß läuft ihnen über die müden und von der Sonne verbrannten Gesichter. Manche haben sich vollkommen vermummt, sodaß man nur ihre Augen sehen kann. Die Erde, oder besser der Sand, ist mit Müll bedeckt: Ihre Wasserflaschen, Plastiktüten, Zigarettenstummel, verlorene Teile von Gepäckstücken, abgerissene Kofferrollen - und dazwischen etliche verlorene oder weggeworfene Hausschlüssel, die nun keine Funktion mehr haben. Die Leute kommen einzeln oder in Gruppen und offenbar strikt nach Nationalitäten getrennt: Zum Teil in Notgemeinschaften, die sich während der Reise gebildet haben, oder zusammen mit Verwandten, Freunden oder Bekannten. Die Ärmeren haben oft ohne ihre Familien in Kuwait oder dem Irak gelebt und ihren Verdienst nach Hause geschickt. Sie sind es, die jetzt allein und ohne Auto ankommen und auf öffentliche Transportmittel angewiesen sind, um durch den Irak an die Grenze zu kommen. Manche haben horrende Preise für Taxis gezahlt andere sind tatsächlich zu Fuß gekommen. Um eines der Gebäude hat sich eine Gruppe von etwa 200 Thailändern gelagert, die verzweifeln, weil sie zum Teil bereits seit zwei Tagen darauf warten, daß ihnen ihre Botschaft in Amman Busse für die Weiterreise schickt. Andere ausländische Botschaften in Jordanien haben mittlerweile getan, was sie konnten, um ihre Landsleute möglichst schnell von Ruweished zum Flughafen nach Amman oder zum Hafen nach Akaba und von dort nach Hause zu bringen. Hinter dem Gebäude auf einer Verladerampe aus Beton treffe ich auf eine wohlorganisierte Gruppe von philippinischen Frauen, die alle in einem Krankenhaus in der kuwaitischen Hauptstadt gearbeitet haben und die gemeinsam auf die Reise gegangen sind. An einer anderen Stelle hat sich die Belegschaft einer ganzen Fabrik niedergelassen. Die Flüchtlingsgruppen sind Abbild der zerstörten kuwaitischen Infrastrukturen, die von jenen Einwanderern aufgebaut und aufrecht erhalten wurde. Alle berichten, daß sie keine andere Wahl hatten als zu gehen: Sie hätten ihre Arbeitsplätze unmittelbar nach der irakischen Besetzung von Kuwait verloren. Es habe keine Lebensmittel mehr gegeben, die Banken hätten geschlossen. Manche berichten von Übergriffen irakischer Soldaten, von Schießereien, von Plünderungen und Beschlagnahmung ihrer Wohnungen. Manchen wurden die Autos mit vorgehaltener Pistole von irakischen Soldaten abgenommen. Auf der einzigen Straße von Ruweished ins jordanische Landesinnere, die durch die Wüste in südwestlicher Richtung nach Amman führt, und von dort aus auf der nach Süden verlaufenden jordanischen Hauptverkehrsstraße nach Akaba bewegt sich der Kovoi derer, die nach stundenlangem Schlangestehen die Einreisegenehmigung der jordanischen Behörden erhalten haben.

„Ich rauche trotzdem noch amerikanisch“, witzelt der Manager eines großen Hotels in Akaba und bietet mir eine Malboro an. In Akaba gehe nichts mehr. Der größte Teil der vorwiegend ägyptischen Flüchtlinge, die von hier übersetzen wollen, ist am Stadtrand notdürftig untergebracht.

Unten im Hafen, wo ein ägyptisches Schiff einen Teil der Wartenden aufnimmt, bin ich nach kurzer Zeit von 20 oder 30 Männern umringt. Die Männer schreien auf mich ein: „Schreiben Sie, schreiben sie, wir haben alles verloren. Es gibt keine Gerechtigkeit auf dieser Welt. Wir haben Hunger, wir haben gedacht wir müssen sterben.“

Aus Amman Nina Corsten