Die Füße unter unserem Tisch

■ taz-Tisch weiter weg: Wie West-Hausbesetzer im Osten antiautoritäres Erbe beanspruchen

Friedrichshain. 14 Uhr, Frühstückszeit in Friedrichshains Mainzer Straße. Einige Buntköpfe sitzen unter lachender Sonne auf dem Trottoir, vor ihnen schmelzen Butter und Käse um die Wette. Befragt nach dem geklauten taz -Tisch, reagiert Sibylle einsilbig. Die junge Frau mit dem leicht süddeutschen Zungenschlag fühlt sich zu Aussagen nicht berufen: „Ich kenne Euch nicht, deswegen will ich mit Euch nicht darüber reden.“ Sie verweist auf ein zwei Hausnummern weiter gelegenes Info-Büro, das in einer Stunde öffnen soll - da seien weitere Fragen zu stellen.

Um 15 Uhr ist das Info-Cafe noch immer verrammelt, als ob für den nächsten Augenblick eine polizeiliche Räumung erwartet würde. Drei Männer blaffen die Wartenden vor der Tür an. „Ihr wollt doch nur wissen, wo der Tisch steht“, vermuten sie und teilen herrisch mit: „Foto gibt's nich!“

Auf Nachfragen signalisieren sie breit grinsend, sehr wohl vom momentanen Standort des entführten Redaktionstisches zu wissen. Dann beenden sie den eher einseitigen Wortwechsel mit Beschimpfungen über die bisherige Berichterstattung zum Fall „Tisch“. Zwei Frauen wohnen der Szenerie zwar auch bei, bleiben aber stumm. Unter westlichen Ost-HausbesetzerInnen hat, so scheint's, der Mann das Sagen.

Währenddessen erreicht Radio100 eine neue „Kommandoerklärung“. Darin wird vehement das antiautoritäre Erbe in Form des entführten Tisches beansprucht und seine Entführung mit linker Historie legitimiert: „Richtig ist vielmehr, daß die Kommune 1 aufgrund der Zweckentfremdung durch die Kommune 2 - die diesen Tisch nicht mehr zu sozial -revolutionären Taten nutzte - die Ketzerei von Abtrünnigen nicht mehr länger hinnehmen konnte.“ Klarer Fall: „Heute wie damals war es notwendig, den Tisch vor Mißbrauch zu schützen.“

Gestern nachmittag meldete sich noch einer zu Wort, der für die Besetzer der Mainzer Straße künftig wohl zu den „Abtrünnigen“ zählt. Wau Holland, Chef des Hamburger Chaos -Computer-Clubs und aus Ost-Berlin solidaritätsheischend angeschrieben, antwortet barsch: Ihm gefällt die „traditionelle Begründung der kindischen Halbgreise“ überhaupt nicht. „Daß gerade sich anarchistisch gebärdende Menschenwesen oft extrem autoritär sind“, beweise schon „der Schreibstil“.

Das nach dem sonntäglichen Tischklau verteilte Bekennerschreiben mit dem Absender „Zentralrat umherschweifender Haschrebellen“, eine reichlich dilettantische Blaupause von Sponti-Papieren aus den späten 60ern, müsse wohl unter der Wirkung „verdammt schlechten Stoffes“ geschrieben worden sein, mutmaßt Wau Holland. Der Computer-Freak hat aus der Ferne erkannt: Die Besetzer haben keine Tischmanieren, (das endgültige Urteil der narzißtischen Wir-sind-endlich-wer-Kommune!, der säzzer) Unterstützung aus Hamburg brauchen sie daher nicht zu erwarten.

ak