Pferdefuß in Bonner Einheitsvertrag

■ Zugeständnisse der Bundesregierung: Gemeinsame Stadtregierung von Senat und Magistrat, Mitfinanzierung von Wissenschaftlichen Einrichtungen, Aufstockung der Bundeshilfe - Der Haken: Bonn fordert Einschwenken auf „Wohnortprinzip“

Berlin. Mit einer Reihe von Zugeständnissen der Bundesregierung - vorrangig bei den Punkten gemeinsame Stadtregierung, Bundeshilfe und Mieterschutz - sind die Berliner Unterhändler von der letzten Verhandlungsrunde über den Einigungsvertrag zurückgekehrt. Das Bonner Angebot hat aber einen Pferdefuß: Berlin und Nordrhein-Westfalen sollen aus der Reihe der SPD-Bundesländer ausscheren und gemeinsam mit den CDU-Ländern das „Wohnortprinzip“ beim Schwangerschaftsabbruch absegnen. Der Krach in der heutigen Senatssitzung ist vorprogrammiert. Während man sich im Umkreis von Walter Momper unter Umständen auf das Bonner Angebot einlassen würde, gab die von der AL gestellte Frauensenatorin Anne Klein schon gestern ihren Protest zu Protokoll. Eine liberalere Abtreibungspraxis dürfe „nicht schon wieder zugunsten angeblich wichtigerer politischer Weichenstellungen mißachtet werden“.

Die wichtigen Weichenstellungen, die die Berliner SPD ins Felde führen könnte, summieren sich zu einer langen Liste. So muß Berlin nicht sämtliche zentrale Einrichtungen von Politik und Wissenschaft in Ost-Berlin allein übernehmen mit den entsprechenden finanziellen Belastungen. Soweit der Wirkungskreis dieser Institutionen über die Stadtgrenze hinausreicht, beteiligen sich der Bund und die künftigen DDR -Länder an der Finanzierung. Außerdem ist geregelt, daß Senat und Magistrat mit dem 3. Oktober gemeinsam die Stadtregierung für die Gesamt-Stadt bilden. Der bisherige Ostberliner Oberbürgermeister Tino Schwierzina bekäme gleichzeitig Sitz und Stimme im Bundesrat. West-Staaken und die Randgebiete von Marzahn und Hellersdorf, die usprünglich zum Bezirk Frankfurt/Oder gehörten, sollen Teil Berlins werden beziehungsweise bleiben. Außerdem kam aus Bonn die Zusicherung, der Bund werde „bis auf weiteres“ - etwa bis Mitte der 90er Jahre - den Berliner Haushalt mitfinanzieren und diese Bundeshilfe nach der Vereinigung der Stadt auch aufstocken. Dazu erhält die Stadtregierung das Recht, per Rechtsverordnung für einheitliche Straßenverkehrsregeln in der Stadt zu sorgen.

Darüberhinaus verweist man im Rathaus Schöneberg auf einige günstige Regelungen, die DDR-weit gelten würden, damit aber auch Ost-Berlin zugute kämen. So wird es bis 1995 einen Mieterschutz geben, der Eigenbedarfskündigungen zumindest „etwas hinausschiebt“. Für die Frage des Grundstückseigentums wurde eine Regelung gefunden, die Investitionen nicht länger behindern würde: Eigentümer von ehemals enteigneten Grundstücken in der DDR können keine Rückgabe fordern, wenn auf der Fläche eine „volkswirtschaftlich bedeutsame“ Investition verwirklicht wird. Gute Regelungen glaubt man auch für das ehemalige Stasi-Vermögen und das Erbe der SED und der Blockparteien erzielt zu haben. „In der Luft“ hänge dagegen die Zukunft der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes in der DDR. Damit sind nach wie vor etwa 150.000 Ostberliner von der Arbeitslosigkeit bedroht.

Würde Berlin dieses Angebot ausschlagen, drohe der Einigungsvertrag zu scheitern, gibt man im Senat zu bedenken. Bonn müßte den Beitritt der DDR dann per Überleitungsgesetz organisieren. Nicht nur der DDR-Einfluß würde damit reduziert; auch einige Berliner Besonderheiten könnten so nicht geregelt werden. Bonn könnte auch das Wohnortprinzip leichter durchdrücken - Anne Kleins Widerstand wäre im Symbolischen steckengeblieben. Immerhin gab es gestern Signale für einen Kurswechsel der Bundesregierung in Sachen Wohnortprinzip. Für Berlin wäre das ein Ausweg aus der Zwickmühle.

hmt