„Härter und nicht so verwöhnt“

■ Ein West-Funktionär freut sich schon auf die Übernahme der DDR-Stars nach der EM

Aus Split Michaela Schießl

Ein Rekord stand schon fest, noch bevor die 15. Europameisterschaften der Leichtathleten im jugoslawischen Split gestern eröffnet wurden: im Pinkeln. 140 Sportler werden heute ins Glas machen müssen. Bei der vorangegangenen EM in Stuttgart 1986 waren es nur 60. In Split müssen nicht nur die Sieger, sondern auch nach dem Zufallsprinzip ermittelte Sportler ihren Obolus zur Sauberkeit des Spritzensports abliefern.

Ein absolutes Novum ist auch, daß die Dopingproben weder direkt vor Ort noch beim Doping-Papst Donike in Köln analysiert werden, sondern im Labor in Kreischa, DDR. Ein bisher undenkbarer Vorgang, standen doch gerade die Aktiven aus Osteuropa unter latentem Dopingverdacht. So bescheinigt man auf recht hinterhältige Weise der DDR nachträglich ihre Kompetenz in Sachen medizinischer Manipulation.

Eine weitere Höchstmarke bietet Split auch mit der Zahl der teilnehmenden Nationen. Bis auf Andorra, Gibraltar und Monaco sind alle der insgesamt 36 Mitglieder des europäischen Verbandes (EAA) gemeldet. Und weil's so schön ist, zog der Veranstalter noch Israel als Teilnehmer aus der Tasche. Die Israelis, im asiatischen Verband ungern gesehen, nehmen außer Konkurrenz teil.

Doch beide Rekorde - Pinkeln und Anzahl - verblassen neben der Leistung des Organisationskomitees. Vor drei Monaten erst wurde die gesamte, weil unfähige Belegschaft ausgetauscht. Im Westen orakelte man bereits das Chaos von Split herbei. Die sich zuspitzende politische Situation in Jugoslawien machte die EM-Planung dann wirklich zum Vabanque -Spiel. Noch vor 14 Tagen lieferten sich im kroatischen Split seperatistische Kroaten mit den Serben herbe Straßenkämpfe. Doch dann machte Belgrad Zugeständnisse.

Ganz in Siegeslaune und um es den „primitiven Serben“ so richtig zu zeigen, muß die EM nun aber zu einem organisatorischen Meisterwerk werden. Am Selbstbewußtsein fehlt es den Machern ohnehin nicht: Mindestens so gut wie in Stuttgart soll es werden, wo die Organisatoren von Lothar Späths Gnaden viel Ruhm und Ehre eingesackt hatten.

Mit Hilfe einer Computerfirma, zahlungskräftigen Sponsoren und einem enormen Personalaufwand scheint das nun zu gelingen: Ein gigantisches Pressezentrum, mit allen Schikanen moderner Technik ausgerüstet, stopft westlichen Miesmachern sogleich das Maul. Süffisant entschuldigt sich der Pressesprecher für Kleinigkeiten: „Wir geben zu, es ist heiß im Pressezentrum. Aber, bedenken Sie, es ist Sommer.“

Einen Grund zum Ärgern hatten bislang nur die Briten, die mit der größten Delegation (114) sehr frühzeitig angereist waren: „Tagelang konnten wir kaum trainieren“, jammerten sie zu Recht. Zu diesem Zeitpunkt liefen im gigantischen Stadion „Poljud“ die Vorbereitungen auf Hochtouren. Wie eine überdimensionale Muschel sieht es aus, ein geheimnisvolles Gebilde aus Glas, Stahl und Beton.

Trotz der Geschäftigkeit wirken alle merkwürdig heiter. Nur die irgendwo zwischen dem Weitsprung und dem Speerwurf in den Boden gesteckte Weltrekordmarke erinnert daran, daß es hier seit Montag verbissen um Höhen, Weiten, Zeiten und demzufolge um viel Geld gehen wird.

Wieviele der 55.000 Plätze in der Muschel letztendlich besetzt sein werden, ist noch ungewiß. 60 DM kosten die Karten für die Woche vor Ort - nicht gerade wenig angesichts des jugoslawischen Mindesteinkommens von gerade 400 Mark.

Knallharter

Konkurrenzkampf

Und das, obwohl wieder einmal ein (sport)historischer Moment bevorsteht: Zum letzten Mal wird die DDR mit einer eigenen Auswahl antreten, bevor am 24. November die Übernahme perfekt gemacht wird. So geht es diesmal um mehr als um das schnöde Metall: Knallharter Existenzkampf ist angesagt, das Gerangel um Plätze im gemeinsamen Kader und der davon abhängenden Unterstützung durch die Sporthilfe.

Den größten Existenzängsten begegnen die 68 BRD-Sportler nach anfänglichem Frust nun mit einer „Jetzt-erst-recht„ -Taktik. Doch auch die 72 meist haushoch überlegenen DDR -Athleten, die hilflos der Kapitulation ihres Sportsystems zuschauen müssen, wollen es noch einmal wissen; nicht mehr für den Staat zwar, aber für den Marktwert oder wie Heike Drechsler (die im übrigen das Wechsel-Gerücht nach Köln als „hohles Ei von 'Bild'“ bezeichnet), „für mein Kind“.

Untergebracht ist sind die Deutschen bereits gemeinsam. Die Stimmung sei recht gut, beteuern die BRD-Flitzer am Sonntag. Ein Sponsor spendierte gar ein Kommunikations-Zentrum - „zum Kennenlernen“. Schneller als ihnen lieb ist werden die Westler die Ostler kennenlernen. Die DDR-Equipe hat eine ganze Reihe Titelanwärter dabei: Heike Drechsler, (200, Weit), Katrin Krabbe (100, 200), Ulf Timmermann (Kugel), Grit Breuer (400), Petra Felke (Speer), Sigrun Wodars (800), Christian Schenk (Zehnkampf) sind nur einige davon.

Dagegen wirkt die Hoffnung vom Präsident des westdeutschen Verbands, Helmut Meyer, geradezu mitleiderregend. Nach dem Rücktritt von Harald Schmid (400 Hürden) und dem verletzungsbedingten Ausfall von Mittelstreckler Dieter Baumann setzt er nun auf Heike Henkel (Hoch), Sabine Braun (Siebenkampf) und Wolfgang Schmidt (Diskus).

Doch insgeheim kann's ihm ja Wurst sein, er kriegt seine künftigen Cracks zum Minimaltarif. Und die müssen auch noch bitten, in seinem vergleichsweise kümmerlichen Verband aufgenommen zu werden. Und überhaupt seien die ja „viel härter und nicht so verwöhnt“.

Findet er, und freut sich.