Schleudern, schießen, klacken, legen

■ Boule - kein präseniler Idiotensport, sondern scharfer, O-armiger Wettkampf ohne Verletzungsfolgen bei Pastis: Die neuen Deutschen Meister im Doppel kommen aus Berlin-Kreuzberg, die Bouler an sich aus der Alternativszene

Aus Krefeld Bernd Müllender

Klack. Klock. Klack-Klack. Dieses satte, dumpfe Geräusch zweier aufeinanderprallender Stahlkugeln muß es sein, das die Gemeinde der Boule-SpielerInnen so sehr an ihrem Sport fasziniert. Gut 500 waren am Wochenende in Krefeld, um sich dem frankophilen Boulespiel (urlaubsprofansprachlich: Boccia; fachfranzösisch: Petanque) hinzugeben und die Deutschen Meister im Doppel zu ermitteln.

Schon Konrad Adenauer, stets mit Pepitahütchen, hatte sich mit den gezielten Kugelwürfen für politische Karambolagen mit der Opposition gestählt. Wohl auch um sich vom alten Kanzlerkegler abzuheben, verwiesen die Organisatoren vom Krefelder Club „Kretanque 88“ in ihrem Programmheft darauf, daß es sich beim Boule keineswegs um einen „präsenilen Idiotensport“ handele, sondern um eine ernstzunehmenden Wettkampfdisziplin, der nicht nur betagte Monsieurs in provencalischen Dörfern fröhnen.

Im Gegenteil: Die Fangemeinde im Allemannischen wachse unaufhaltsam, zu Boulemannen sozusagen. „Ruhe, Gelassenheit und Lebensart“ ergänzt die Fachzeitung als Faszinosa, „Sonne, Wein und Pastis“ seien die Dopingsubstanzen dieses reinen Amateurspiels.

Die Regeln sind simpel: Zwei in einem Team haben je drei Kugeln, Ziel ist es, einer „Schweinchen“ genannten kleinen Holzkugel möglichst nahe zu kommen. Weiterwerfen müssen immer die, deren beste Kugel der hölzernen Sau ferner plaziert liegt als die der Gegner. „Schießen“ (das hochflugbahnige Wegdonnern der Gegnerkugel - Klack) und das „Legen“ (raschelndes Heranrollen) sind die beiden Wurftechniken, die die Mannschaftstaktik bestimmen. Nach jeder Aufnahme gibt es, je nach Endlage, einen bis sechs Punkte für die Gewinner. Sieger eines Matches ist, wer 13 Punkte erreicht.

Wesentlich komplizierter präsentierte sich zunächst ein fast undurchschaubares Gewirr der Spielbahnen. Gut hundert waren es, dünn markiert, kreuz und quer, auf dem weitläufigen stimmungsvollen Kiesplatz unter mächtigen, alten Baumriesen des Stadtwalds. SpielerInnen und ZuschauerInnen sind nicht zu unterscheiden, da werfen jung und alt, gemischtgeschlechtlich, diese mit Badelatschen, jener mit Bierbauch, andere hosenbeträgert, immerhin mal einer mit Barrett und Zigarettenstummel im Mundwinkel.

Meist O-armig geschleudert, manchmal aus merkwürdig verdrehter Körperhaltung, fliegen die Dreiviertelpfünder aus den Handgelenken, und entwickeln dabei manchmal eine durchaus gefährliche Dynamik, wenn sie sattgeklackt aus dem Geviert herausgeschossen kommen und die Beine der ahnungslosen ZuschauerInnen bedrohen. Aber der Sanitätsdienst beruhigt am Ende, es habe nicht eine einzige Fußnagel-Notextraktion vorgenommen werden müssen.

„Gib mich

die Boulette“

Schiedsrichter und Anzeigetafeln gibt es nicht, Jury sind immer basisgemeinschaftlich die Gegner. Dem Reporter wird berichtet, daß sich gerade in Krefeld die linke Szene dem Boulieren verschrieben hätte. Warum, wußte niemand so recht zu begründen, aber da kugelten die alten KämpferInnen gegen Akws, die Müslis, Bios, Ex-BürgerinitiativlerInnen, ein grüner Ratsherr und KünstlerInnen der Stadt; „die ganze Urszene halt“, wie ein Insider identifizierte.

Eine genervte Frauenstimme („die Christiane“) versucht über Lautsprecher die Sippe an der Kandarre zu halten - immer wieder mahnt sie zur Reinhaltung des Geländes von Abfällen, bettelt blökend um Ergebnismeldung, fahndet nach (beim Pastis?) verschollenen SpielpartnerInnen, versucht die Lässigen endlich rechtzeitigen Spielaufnahme zu rufen („Mannschaft 189, euer Gegner wartet immer noch“). Das ganze hat etwas den Charakter eines Schulsportfestes, fehlte nur noch, sagt eine Besucherin, „daß es heißt, Teilnehmer Hauptrunde B bitte das Milchgeld abgeben“.

Ernst aber ist die mehrfache Vermißtenmeldung: „Gesucht wird immer noch die Integralkugel 720 Gramm mit der Nummer 15.“ Hatte die jemand abgegriffen?

Frühzeitig ausgeschieden waren viele Favoriten und Ex -Meister. Einige moserten, dies habe an Krefelds Kies gelegen, der zu schnell sei, somit leicht unfranzösisch. Auch dem Vorjahressieger im Einzel, dem Krefelder Legespezialisten Hubert Arians, blieb nachgerade sensationell nur die Trostrunde.

Was im Kreis seiner Clubfreunde viele mit Schadenfreude quittierten, hatte er sich doch mit einem Frankfurter Schießkünstler zusammengetan und war, besonders verwerflich, fremdelnd für dessen hessischen Club gestartet. So plazierte sich der vereinslose Hobbybouler Gregor Boine, im sportlichen Haupttätigkeitsbereich Stürmer beim legendären Fußballteam „Gib mich die Kirsche“, zusammen mit einem ortsansässigen Biogärtner als bester Krefelder. Der fachkundige Beobachter und Kirschen-Inteamchef Reinhard Schippkus dementierte jedoch jegliche Pläne zur Namensänderung in „Gib mich die Boulette“.

„Es ist wie in Frankreich, herrlich, wunderbar“, seufzt mit Aperitif in der Hand eine Zuschauerin beim sonntäglichen Finale; die wohltuende Wärme wie im Süden, die Ruhe beim Sonnenuntergang, die Atmosphäre eines südfranzösischen Dorfplatzes unter den mächtigen Kastanien und Linden neben der verrottet altertümlichen Krefelder Pferderennbahn. Nur die Zikaden fehlten als Ergänzungsgeräusch zum Rascheln der Kugeln, zum plötzlich laut beklatschten Volltrefferklack.

Kurz vor Einbruch der Dunkelheit der entscheidende Leger von Rene Fitsche aus Berlins Kreuzberg, und er hat zusammen mit Partner Christian Hempel gegen das Rastatter Paar Ludwig Gustain und Rainer Caliebe überraschend mit 13:9 gewonnen. Ihr erster Titel nach gerade fünf Jahren Spielpraxis.

Siegestrophähe ist eine gebogene Boulebahnsequenz aus Ton mit blinkender Kugel der Krefelder Keramikerin Maika Korfmacher. Man ist sich einig, es waren würdige, spannende Meisterschaften. Und auch die Integrale 720er ward wiedergefunden.