Sprachgebrauch

■ Prinzipienstreit als Verwirrungstechnik

KOMMENTAR

Da alles ganz schnell gehen muß mit der deutschen Vereinigung und immer noch schneller, fehlt natürlich die Zeit zum Prinzipienstreit. Aber strittige Prinzipien gibt es genug, und entschieden wird da auch irgendwie. Kürzlich rauschte anläßlich des Rücktritts von Gohlke, des Chefs der Treuhandanstalt, die Alternative „Sanieren oder Privatisieren“ vorüber. Gohlke war offenbar dafür, die DDR -Betriebe erst zu sanieren, um dann zu privatsieren; sein Nachfolger Rohwedder hält es mit der umgekehrten Reihenfolge. Selbstverständlich geht es um Milliarden, aber was schert das die Öffentlichkeiten. Nach der Abschlußrechnung wird man schlauer sein. Jetzt wird um das „Tatortprinzip“ vs. „Wohnortprinzip“ gestritten. Die Öffentlichkeit darf sich den Kopf über die Fallstricke der deutschen Strafrechtstradition zerbrechen. Die Ortsbestimmungen der politischen Fronten huschen hin und her. Selbstverständlich weiß der kundige Leser, was diese strittigen Prinzipien bedeuten. Aber die Begriffs -Schrotschüsse in die gehetzte Öffentlichkeit lassen nur die Kommentare auffliegen; was hinter geschlossenen Türen entschieden wird, das wird uns noch ein Jahrzehnt beschäftigen.

Die vornehmste Aufgabe der Opposition wäre es, die geschlossenen Türen zu öffnen, das heißt, über Inhalte zu reden, wenn über Inhalte entschieden wird. Was soll das heißen, wenn die Opposition am „Tatortprinzip“ festhält? Jeder und vor allem jede weiß, es geht um Frauen, um die Frage der Strafwürdigkeit der Abtreibung und den Wahnsinn, daß man den DDR-Frauen eine Schonfrist von zwei Jahren gibt, bis sie das schlechtere Recht der Bundesrepublik genießen dürfen, und eben darum, ob man die bundesrepublikanischen Frauen verfolgen darf, wenn sie für zwei Jahre das humanere Recht auf dem Gebiet der DDR für sich nutzen. Die Inhalte sind klar genug, warum wird also nicht Klartext geredet. Je schneller alles gehen muß, desto klarer müßte geredet werden, insbesondere von der Opposition. Warum wird also vom „Tatortprinzip“ geredet? Verzichten wir auf Motivforschung. Der Effekt jedenfalls ist klar: Die Öffentlichkeit zerbricht sich den Kopf über Sinn und Unsinn von strafrechtlichen Prinzipien; nicht aber über den menschenfeindlichen Wahnsinn, die Abtreibungsfrage überhaupt mit dem Strafrecht zu behandeln; nicht über die Unverschämtheit, den DDR-Frauen zwei Jahre zuzugestehen, bis sie sich an die Rechtshoheit von Bischöfen gewöhnen dürfen; nicht über den gesamtdeutschen Rückschritt, wenn das bundesdeutsche Mittelalter in Sachen Paragraph 218 fürs vereinte Deutschland gelten wird, und auch nicht über das bescheidene Frauenopfer, das unsere angejahrten Politiker glauben, doch den Frauen zumuten zu dürfen für unser vereintes Vaterland.

Klaus Hartung