Parteigebäude in Sofia verwüstet

■ Über 50 Festnahmen nach Sturm auf Parteizentrale / Handelt es sich um eine Provokation?

Sofia (afp/ap/taz) - Die Parteizentrale der bulgarischen Sozialisten in Sofia ist in der Nacht zum Montag von Demonstranten in Brand gesteckt worden. Das Feuer in dem achtgeschossigen Haus griff auf Nebengebäude über und konnte erst nach fünf Stunden gestern morgen gelöscht werden. Die Menge hatte eine Stunde lang ein Durchkommen der Feuerwehr verhindert und die meisten Wasserschläuche durchgeschnitten.

Die Polizei hatte sich auf Anordnung von Vizepräsident Atanas Semerdschijew zurückgehalten, wurde aber anschließend im ganzen Land in Alarmbereitschaft versetzt und bewachte gestern das verwüstete Gebäude. Auf den Zufahrtstraßen zur Hauptstadt wurden Kontrollposten errichtet. Mehr als 50 Personen wurden festgenommen. Regierung und Opposition verurteilten die Ausschreitungen.

Die Randale ging von einer kleinen Gruppe vorwiegend Jugendlicher aus, die sich am Sonntag abend von etwa 10.000 Demonstranten abgesondert hatten. Ungehindert von der Polizei schlugen sie Fensterscheiben ein, warfen brennende Fackeln in die Räume, drangen ins Haus ein, zertrümmerten Einrichtungen und warfen Akten auf die Straße. Gewährsleute aus Sofia berichteten, die erste Rauchentwicklung sei aus den oberen Stockwerken des Gebäudes gedrungen. Aufgrund der Sicherheitsmaßnahmen sei es aber schwer möglich, vom Parterre aus nach oben zu dringen. So verdichten sich Gerüchte in Sofia, die den Brand in Zusammenhang mit einer Provokation stellen. Das Wort vom „Reichstagsbrand“ macht auch hier die Runde - genau wie schon bei den Juni -Ereignissen in Rumänien, die zum brutalen Einsatz der Bergarbeiter führten. Doch noch lassen sich diese Spekulationen nicht beweisen.

Der Führer der Opposition, der vor kurzem gewählte Staatspräsident Schelju Schelew brach seinen Urlaub ab und kehrte nach Sofia zurück, um im Rundfunk Stellung zu den Ereignissen zu nehmen. Er bezeichnete die Ausschreitungen von „Provokateuren“, die den „rückständigsten und finstersten Kräften im Lande in die Hände“ spielten. Der Präsident erinnerte daran, daß gerade in diesen Tagen über die Neubildung einer Koalitionsregierung zwischen der Demokratischen Opposition und der Sozialistischen Partei verhandelt werde. Andere führende Oppositionelle fürchten nun um den Fortgang der Reformen im Lande. Auf Anordnung Schelews wurden die Zelte der „Stadt der Wahrheit“, in der sich Dutzende von Demonstranten seit Tagen aufhalten, aus dem Stadtpark entfernt.

Vizepräsident Semerdschijew, der der Sozialistischen Partei angehört, hatte zu Beginn der Demonstration versucht, die Menge zu beruhigen. Er war zwischen Demonstranten eingekeilt, die „Nieder mit der BKP!“ riefen und ihn auch tätlich angriffen. Später wurde seine Erklärung verlesen, die der Polizei Gewaltanwendung untersagte.

Die Demonstranten hatten die Entfernung des Sowjetsterns und anderer kommunistischer Symbole von der Parteizentrale und anderen Gebäuden verlangt, wie es vorige Woche vom Parlament beschlossen worden war. Ein 20jähriger hatte gedroht, er werde sich verbrennen, falls dies nicht bis Sonntag abend geschehe.

Im Fernsehen wurde nach Ablauf der Frist um 21 Uhr das Programm unterbrochen. Zwei Oppositionspolitiker erschienen auf dem Bildschirm und riefen zu einer Demonstration auf, um die Selbstverbrennung zu verhindern. Für gestern abend hat die Sozialistische Partei eine Gegendemonstration angekündigt.