Bonner Spitze über Prinzipien verwirrt

■ Wohnortprinzip? Tatortprinzip? Die Herrenrunde in Bonn konnte sich nicht einigen / Innenminister Schäuble hat den Tatort entdeckt / Lambsdorff gesteht Unwissenheit ein

Von Tina Stadlmayer

Bonn (taz) - Die Berge kreißten in der Nacht von Sonntag auf Montag, und heraus kam nicht einmal eine Maus. Die Männerrunde der großen Parteivorsitzenden einigte sich nicht auf eine Übergangsregelung zum Abtreibungsrecht. Gestern war das Chaos dann komplett. Der FDP-Vorsitzende Graf Lambsdorff behauptete, er habe nicht gewußt, daß in der BRD sowieso das sogenannte Tatort- und nicht das Wohnortprinzip gelte. Innenminister Schäuble habe ihn erst nach der Koalitionsverhandlung darauf aufmerksam gemacht. Deshalb schlug Lambsdorff vor, das Wohnortprinzip jetzt aus dem Einigungsvertrag herauszunehmen. Das Gefährliche daran ist nur: Wenn dieser Punkt jetzt nicht geregelt wird und es dem Innenminister später doch wieder einfällt, das Wohnortprinzip für Rechtens erklären zu lassen, dann sind die Frauen angeschmiert. Lambsdorff geht außerdem mit einer umstrittenen Interpretation des Strafgesetzbuches hausieren. Er behauptet, das Wohnortprinzip könne eigentlich ruhig vereinbart werden, denn eine Frau dürfe sowieso nicht strafrechtlich verfolgt werden, wenn sie sich vor einer Abtreibung beraten lassen habe - egal, ob der Abbruch am Wohnort oder sonstwo durchgeführt wird. Und was war in Memmingen, Herr Graf? Wurden da nicht Frauen verurteilt, weil angeblich keine Indikation vorgelegen habe?

Die stellvertretende SPD-Vorsitzende Hertha Däubler-Gmelin trat gestern bereits den Rückzug an. „Zur Not“ sei die SPD bereit, das Abtreibungsrecht aus dem Einigungsvertrag herauszunehmen und in einem „Eingliederungsgesetz“ zu regeln. Wie kann sie sicher sein, daß dann nicht das Wohnortprinzip gilt? Für solch ein Eingliederungsgesetz ist vielleicht sogar nicht einmal die Zweidrittelmehrheit erforderlich. Es kann auch ohne die SPD verabschiedet werden. Und wie standhaft die FDP-Abgeordneten in dieser Frage sind, haben ja die Koalitionsverhandlungen gezeigt.

Kein Mensch spricht übrigens vom Wohnortprinzip beim Paragraphen 175. Die Schwulen haben eben eine noch kleinere Lobby als die Frauen. Das Gesetz - in dem homosexuelle Kontakte mit unter 18jährigen verboten werden - soll in der Bundesrepublik aufrechterhalten werden. Wie bei der Abtreibung will die Bundesregierung das Wohnortprinzip anwenden. Wird die SPD dem zustimmen?

Die DDR-Regierung hat sich aus dem Gerangel um den Einigungsvertrag bereits ausgeklinkt. Der Streit verläuft jetzt zwischen den BRD-Parteien und zwischen Bund und Ländern. Lohar de Maiziere versprach zwar am Wochenende auf dem Parteitag der brandenburgischen CDU, er werde sich nachdrücklich dafür einsetzen, daß die fünf neuen Länder „am Finanzausgleich gleichberechtigt teilhaben“. Aber das ist nichts als Walhlkampf. Längst haben de Maiziere und sein Staatssekretär Günther Krause zugestimmt: erst in fünf Jahren werden die Länder der ehemaligen DDR am Finanzausgleich beteiligt. Dieser Ausgleich errechnet sich nach dem Bruttosozialprodukt pro Einwohner eines Bundeslandes. Die danach ärmeren Länder erhalten von den reicheren einen Teil deren Steuereinkommens. Da das Bruttosozialprodukt in der DDR sehr niedrig ist, müßten sogar relativ arme Bundesländer wie Bremen blechen. Die weigern sich. Die DDR hat's geschluckt. Dafür kriegen die Ost-Länder in den nächsten zehn Jahren 115 Milliarden aus dem „Fonds Deutsche Einheit“. 20 Milliarden kommen aus dem Bundeshaushalt, der Rest soll durch Kredite am Kapitalmarkt aufgebracht werden - jeder Bundesbürger kann Einlagen kaufen. Die Zinsen zahlen Bund und Länder je zur Hälfte. Damit, so der Verhandlungsführer der Bundesländer, NRW -Staatskanzleichef Wolfgang Clement, haben die Länder ihr Soll erfüllt. Das sieht Bundesfinanzminister Theo Waigel anders. Heute will er sich mit den Finanzministern der Länder über die Verteilung der Umsatzsteuer einigen. Bislang bekommt der Bund von den rund 150 Milliarden Umsatzsteuer im Jahr 65% und die Länder 35%. Am liebsten wollten die DDR -Länder ihre schätzungsweise 20 Milliarden Umsatzsteuer ganz behalten. Das ist bereits vom Tisch. Waigel schlägt jetzt vor, für jeden DDR-Bürger sollen die Länder dort im nächsten Jahr 60% dessen kriegen, was die West-Länder für ihre EinwohnerIn kassieren. Erst in fünf Jahren will er ihnen genausoviel abgeben. Doch das ist den Bundesländern im Westen immer noch zu teuer. Sie wollen in den kommenden fünf Jahren fünf Milliarden weniger bezahlen. Und eine Klausel im Vertrag, daß kein Pfennig mehr dazukommt.

Bei drei weiteren Punkten zeichnet sich eine Einigung ab. Parteienfinanzen: Die CDU will auf die SPD zugehen und ihr einen Teil des Vermögens der Blockparteien überlassen. Grund - und Bodenrechte: Nach 1949 enteignete Grundstücke sollen nicht - wie von der CDU gefordert - zurückgegeben werden, die ehemaligen Besitzer werden aber entschädigt und Unternehmen bekommen Grundstücke, auf denen sie investieren, „dauerhaft endgültig“ zur Verfügung. Letzter Punkt: Wer bezahlt für die Staatsbediensteten? - Endgültig gelöst sind diese Fragen noch nicht. Bei der morgigen letzten Verhandlungsrunde kann noch viel passieren.