Schlechte Tischmanieren

■ Etwa 20 Leute haben unser denkmalgeschütztes taz-Möbel mal eben mitgehen lassen

Oval, nicht rund, in schmutzigem Gelb - so zierte das 5,50 mal 1,50 Meter große Monstrum bis Sonntag abend 17.00 Uhr das Hauptquartier der taz. Über elf Jahre diente der Tisch brav als Armablage bei den täglichen Konferenzen, wurde von unendlich vielen Besuchergruppen mit Kaffee besabbert, ertrug schaudernd die mittäglichen Essensreste und schmutzigen Teller, die von manchen nicht mehr wohngemeinschaftsgeübten tazlerInnen und BesucherInnen auf seiner mit Kerben und (spärlichen) Kritzeleien zerfurchten Platte stehengelassen wurden. Der Tisch, der in grauer Studentenbewegungsvorzeit von Rechtsanwalt Christian Ströbele für 800 DM erstanden, später einigen Zentren der Berliner Studentenbewegung, der Kommune 2 und Kommune 1, zur Kommunikation diente, wurde zur Reliquie der antiautoritären Bewegung. Auch später, als die revolutionären Hoffnungen weitgehend begraben waren und die Diskussionen darum kreisten, wie am besten Sand ins kapitalistische Getriebe zu werfen sei, blieb er im Zentrum: Er ertrug die disziplinierten Diskussionen der Proletarischen Linken ebenso wie die der Roten Hilfe oder den produktiven Chaotismus der unzähligen aktionistischen Spontigruppen bis er schließlich, 1979, als mahnendes Denkmal der kurzen, antiautoritären Geschichte in West-Berlin der taz übergeben wurde.

Jetzt isser weg. Am Sonntag abend war es soweit. Etwa 20 junge Leute, manche angetan mit dem Kennzeichen der Anarchie, dem großen A, verschafften sich (in pfiffiger Weise - Respekt!) Einlaß in die am Sonntag nur mit wenigen tazlerInnen besetzte Zentrale, just zu dem Zeitpunkt, als die Redaktion und die Technik ihre Stoßzeit hatten, und nahmen das große Ungetüm in Windeseile auseinander. Schnell wurden die Einzelstücke über einen den Innenhof begrenzenden Bauzaun gehievt, über eine Baustelle getragen und (vermutlich) in einem Transporter verstaut. Die verdutzten tazlerInnen kamen zu spät und guckten in die Röhre. Die in erster Wut erfolgten Rufe nach einem Gegenrollkommando oder gar der Ordnungsmacht verhallten ungehört. Schließlich würde dies gegen den Tischgeist verstoßen.

Die Langfinger werden nicht leicht zu finden sein. Denn als drei tazlerInnen zur Spurensicherung bei den vor allem durch Westdeutsche besetzten Häusern in der Ostberliner Mainzer Straße auftauchten, drang zwar manche Kenntnis über das Vermächtnis des Möbels durch die Heiterkeit, doch Gespräche waren nicht erwünscht. Mehr noch: Auf schlecht deutsche Art wurden die tazlerInnen ohne Tisch vor die Tür gesetzt. Denn in den Augen dieser Szene hat die taz den Tisch nicht mehr verdient. Das aus Hausbesetzermunde dringende „Raus“, der „Herr im Haus„-Standpunkt verstößt aber völlig gegen den Geist des Tisches. Wären die tazlerInnen nicht von alleine gegangen - hätten die Tischherren etwa Vopos gerufen? Sowas Autoritäres. Grrrrh. Pfui. In der taz würde das nicht passieren. Deshalb ist der Tisch in der taz besser aufgehoben.

Erich Rathfelder