Der Weg ins Todes-Getto

■ Bildungswerk der Ev. Kirchen veranstaltet 1991 Gedenkfahrt nach Minsk

„Ich, der unterzeichnende Jude, bestätige hiermit, ein Feind der Deutschen Regierung zu sein und als solcher kein Anrecht auf das von mir zurückgelassene Eigentum, auf Möbel, Wertgegenstände, Konten oder Bargeld zu haben. Meine deutsche Staatsbürgerschaft ist hiermit aufgehoben, und ich bin vom 17. November 1941 an staatenlos“. Mit der Unterzeichnung eines solchen Dokumentes begann für den Großteil der Bremer Juden, kurz nach Beginn des zweiten Weltkrieges, das letzte Kapitel eines schrecklichen Leidensweges.

Über Berlin, Polen und die russische Grenze wurden sie in unbeheizten Waggons, jeweils 50 Personen pro Abteil, wie Vieh Richtung Osten transportiert. Ziel der dreitägigen Fahrt war Minsk, die Hauptstadt Weißrußlands. Von

hier aus, so hieß die offizielle Verlautbarung des SS -Hautquartiers Bremen, sollten die Zwangsdeportierten für den Wiederaufbau zerstörter Städte eingesetzt und später dort 'angesiedelt‘ werden. „Die Stimmung war seltsam: Es gab Verzweiflung und Hoffnung, Weinen und Lachen, Beten und Fluchen“, beschreibt Heinz Rosenberg, einer der wenigen überlebenden Juden, den Tag vor der Abfahrt.

Als die einigen hundert jüdischen Männer, Frauen und Kinder in dem von Stacheldraht eingezäunten Minsker Getto eintrafen, begriffen sie schnell, daß es für sie keine Hoffnung gab. „Wir erhielten den Befehl, das rote Gebäude sofort aufzuräumen“, heißt es weiter in dem Bericht, „Als wir das Haus betraten, erwartete uns ein zweiter entsetzlicher Ein

druck von Minsk: Hunderte von Leichen bedeckten den Boden. Überall war Blut, und auf den Öfen und Tischen stand noch das Essen.“ Ihr Schicksal war ähnlich: Sie fanden zusammen mit Tausenden anderer Juden aus Hamburg, Düsseldorf, Frankfurt, Berlin, Wien, Prag und der UdSSR 1942 bei Massenerschießungen den Tod.

Beteiligt an diesen Verbrechen war unter anderem der spätere Bremer Oberregierungs- und Kriminalrat Karl Schulz. Zusammen mit Artur Nebe, dem Reichskriminalpolizeidirektor in Berlin, ging er im Juni 1941 zum „auswärtigen Einsatz“ nach Rußland. Dort sorgte er in der Einsatzgruppe B für die Vernichtung von Juden im südlichen Baltikum, der nördlichen Ukraine und Weißrußland. So auch am 28. und 29. Juli 1942, als in Minsk 10.000 Juden erschossen wurden. Unter ihnen 3.500 Deportierte aus Brünn, Bremen und Berlin. Die furchtbare Tat blieb der Öffentlichkeit bis heute verborgen. Unbehelligt leitete Schulz bis zu seiner Pensionierung 1968 die Kriminalpolizei in Bremen und starb 1988 im Alter von 80 Jahren, ohne jemals vor Gericht gestanden zu haben.

Um ein „Stück Versöhnung mit den Völkern der Sowjetunion“ zu leisten und der jüdischen Ofer zu gedenken, will das Bildungswerk Evangelischer Kirchen Bremen die Deportation nach Minsk symbolisch nachvollziehen. Im Herbst nächsten Jahres ist unter dem Motto „Erinnern für die Zukunft“ eine „Gedenkfahrt nach Minsk 1941/1991“ geplant.

Die erste öffentliche Informationsveranstaltung dazu wird am 3. September 1990 um 20.00 Uhr im Kolpinghaus stattfinden. Ein Ziel des Projektes ist das Anbringen einer Gedenktafel auf dem

ehemaligen Gelände des Minsker Gettos sowie auf dem Bahnhof hier in Bremen. Weitere Programmpunkte der Fahrt werden der Besuch von Stätten ehemaliger Konzentrationslager in Minsk und Umgebung, sowie die Durchführung von Abeitskreisen, unter anderem zu dem Thema „Wie leben Christen und Juden heute in der Sowjetunion“ sein. Darüber hinaus ist ein Treffen mit Schriftstellern geplant, die Besichtigung eines deutschsprachigen Senders und Gespräche mit Schülern.

Birgit Ziegenhagen