Über ernste Dinge sprechen

■ „Zeitgenössische sowjetische Avantgardisten“ in der Galerie am Festungsgraben

Die Ausstellung will hoch hinaus, wenn es nach dem Titel geht. Nun ist der „Avantgarde„-Begriff auf heutige Kunst bezogen schon seit einiger Zeit zur Worthülse verkommen, erfüllt oft nur die Funktion eines gängigen Markenzeichens. In bezug auf die sowjetische Kunst bedeutete er bisher die Abgrenzung der nicht-offiziellen von der offiziellen Kunst, eine Bezeichnungshilfe, die längst von der Realität eingeholt worden ist.

Das Sprektrum der ausgestellten Arbeiten der fünf Künstler, die bis auf einen in Moskau ihre künstlerische Ausbildung erhielten und dort heute leben, reicht von surrealer Malerei, Comicstrip, Objekten bis zu plakat-ähnlichen Bildern. Ein Potpourri der Stile, im Vorwort des Katalogs als SozArt und „Beginn der neuen Kunst Rußlands“ proklamiert.

SozArt bildete sich in den siebziger Jahren in Moskau heraus als eine erneute Beschäftigung mit sozialen Thematiken auf Grundlage konzeptueller Reflexion. Bekannt geworden sind vor allem Erik Bulatow und Ilja Kabakow. Ob jedoch die in Berlin vorgestellten Arbeiten und das Etikett der SozArt passen, ist zu bezweifeln.

Am ehesten sind dazu noch Dimitri Vrubels großflächige Arbeiten auf Papier geeignet. Sie werden von ihm als „intime Plakate“ bezeichnet und bedienen sich der fotografischen Ästhetik. Aus Werbung, Pressefotografie und Film bekannte Standards, Personen und Posen wie die Figur von Lenin, das Bild der leidenden russischen Mütter oder das Porträt der Achmatowa werden manipuliert; vergrößert oder verkleinert, verzerrt, in Ausdruck und Bezug zum Umfeld verändert. Der damit erzielte Collage-Effekt wird mit leeren Hintergründen kontrastiert. Titel wie zu dem Lenin-Bild: Ich habe keine Kraft mehr, ich kann nicht mehr, gehören zu übergreifenden Themenkomplexen, die sich mit der eigenen Geschichte und deren Klischees auseinandersetzen, doch fehlen ihnen Schärfe oder auch Ironie.

Alexej Taranin gibt sich konzeptuell-didaktisch. Er kontrastiert Zeichen und Formen der Massenkultur mit denen der „Hochkunst“. Sein Anliegen jedoch, „mit Hilfe der Sprache der Massenkultur über ernste Dinge zu sprechen“, gerät in die Nähe des Klischees. Seine Identifikationsfigur, das Häschen, verliert in seriöser, pastöser Ölmalerei an Witz.

Theodor Tezhiks Rauminstallation aus Bildern und Objekten wirkt wie die Materialisierung seiner mythendurchwobenen Malerei. Gleichnishaft werden Strukturen der Macht thematisiert und verschwimmen im Farblabyrinth. Manchmal leuchtet es auf, dämonisch und schön, ähnlich wie in den symbolistischen Bildern eines Wrubel.

Die Bilder des Wolgograders Michail Serebrjakows sind delikate Gemälde voller Abgründigkeiten. Seine surreale Sprache spannt Bezüge zur Geschichte und Umwelt. Die Inszenierungen auf seinen Bühnen frieren Akteure und Zeit gleichsam ein.

Auch die Arbeiten von Irina Dubrowskaja führen in einer wenn auch poetisch verschlüsselten Welt der Zeichen und Bedeutungen. Sie sind von den Formen der Natur geprägt, verkörpern Werte wie Schönheit und Reinheit und eine andere zeitliche Dimension. In ihrem Symbol der Ruine verschmelzen das Gefühl für Vergängliches und Dauerhaftes. Manchmal fügt sie den Bildern selbstgeschriebene Gedichte bei, kleine Hymnen auf das Leben und die Empfindsamkeit, wahrzunehmen als Kreislauf von Werden und Vergehen.

Die Auswahl der Künstler, die Organisation der Ausstellung und die Erstellung des Katalogs hat die Künstleragentur Brodowski besorgt. Ihr Gründer, ein sowjetischer Journalist, will den kulturellen Austausch deutscher und sowjetischer Kunst befördern. Dabei hofft er für die Zukunft auf großzügige, Osteuropa-interessierte Sponsoren. Das ehemalige Haus der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft kommt dafür wohl kaum in Frage, es hat nur freundlicherweise die Räume zur Verfügung gestellt. Zu hoffen ist, daß das neue Unternehmen nicht nur auf die zur Zeit vorhandene Marktlage reagiert, sondern kenntnisreich die Entwicklung eines kulturellen Austausches unterstützt.

J. Reuter

„Zeitgenössische sowjetische Avantgardisten“ bis 10. September in der Galerie am Festungsgraben (vormals zentrales Haus der Deutsch-Sowjetischen Freundschaft), Festungsgraben 1-2, Unter den Linden.