Keiner weiß, wieviele streiken

■ Zweiter Warnstreik im öffentlichen Dienst / Weder die genaue Zahl der Beschäftigten noch der Bedarf im späteren Gesamt-Berlin sind bekannt

Berlin. Der Streit um die DDR-Tarife im öffentlichen Dienst wird heute in Ost-Berlin erneut die Menschen auf die Straße und BVB-BenutzerInnen in ihre Autos treiben. Aufgerufen von der ÖTV legen die Beschäftigten im öffentlichen Dienst beim zweiten Warnstreik doppelt so lange, nämlich in der Zeit von 11-13 Uhr, die Arbeit nieder. Eine zentrale Kundgebung hat die Gewerkschaft auch diesmal wieder für 11.30 Uhr vor dem Amt des Ministerpräsidenten organisiert. Parallel dazu streikten gestern und heute erstmals auch in anderen Städten der DDR öffentliche Arbeitnehmer für eine Erhöhung ihres Einkommens um 350 DM, mindestens aber 30 Prozent, sowie einen Sozialzuschlag von 50 DM für jedes Kind.

Wieviele OstberlinerInnen diesen Anspruch erheben können, weiß derzeit niemand, da weder Senat noch Magistrat genaue Angaben über Beschäftigungszahlen im öffentlichen Dienst machen können. Laut dem Westberliner Finanzsenator Meisner (SPD) schwanken die Angaben zwischen „weit über 100.000 und mehr als 200.000“. Der Ostberliner Innenstadtrat Thomas Krüger (SPD) schätzte Anfang August gegenüber der taz die Zahl der ArbeitnehmerInnen in öffentlichen Institutionen auf bis zu 300.000. Die Gewerkschaft ÖTV geht von 100.000 Beschäftigten aus.

Zum Vergleich: Im knapp doppelt so großen West-Berlin waren 1988 nach Angaben des Statistischen Landesamtes 200.953 Beschäftigte im öffentlichen Dienst tätig. Dabei entfielen auf die Eigenbetriebe, wie BVG, Stadtreinigung, Wasserbetriebe und Gasag, insgesamt gut 29.000, gut 31.000 auf den Bereich Gesundheit, Erholung und Sport sowie knapp 10.000 auf den Bereich Justiz. Rund 104.000 Bedienstete arbeiten nach Angaben des Sprechers der Innenverwaltung, Thronicker, zur Zeit in den Westberliner Verwaltungen, davon rund die Hälfte in der Hauptverwaltung einschließlich der nachgeordneten Behörden, die restlichen 50.000 verteilen sich auf die zwölf Bezirksverwaltungen. Dieser Bereich ist der einzige, in dem man auch in Ost-Berlin ungefähre Zahlen kennt: In den elf Stadtbezirken gibt es 56.000 Beschäftigte, im Magistrat etwa 16.000. Für die Gesamtberliner Verwaltung wird derzeit zwischen den Innenverwaltungen aus beiden Teilen der Stadt ein Stellenplan erarbeitet. Schwierigkeiten ergeben sich schon aus der Zuordnung: Statistiken über das, was die BRD unter „öffentlichem Dienst“ versteht, gab es in der DDR bislang nicht. Eins scheint für die Ostberliner Bezirksverwaltungen jedoch so gut wie sicher: Selbst wenn hier neue Sozial-, Arbeits- und Finanzämter eingerichtet werden, so Thronicker, „56.000 Beschäftigte werden wir hier nicht brauchen.“

Pikanterie am Rande: Ein Teil der Beschäftigten im öffentlichen Dienst hat eine Lohnerhöhung schon längst durchgesetzt: Bereits seit März erhalten Krankenpflegekräfte 300 Mark brutto mehr, die Müllmänner haben sich im Juni eine Erhöhung ihres Lohnes um 33 Prozent erstreikt.

maz