Unter dem weißen Linnen liegt „Der Tisch“

■ Gestern wurde „Der Tisch“ in der Mainzer Straße seiner - vorerst - neuen Bestimmung übergeben

Berlin. Nur eine „Uwe-Barschel-Gedächtnis-Wanne“ und ein wie handkoloriert wirkendes Bild von Erich Honecker, angenagelt an den einzigen Baum, zieren normalerweise den kleinen Hinterhof der Mainzer-Straße Nr. 7 im Ostberliner Friedrichshain. Doch gestern, nachmittags um 15.30 Uhr, erstrahlte der Hof von leuchtendem Weiß „gespendeter Tischtücher“, wie einer der rund 40 Tafelgäste, Bewohner und Gäste, ihres Zeichens Hausbesetzer, mitteilen konnte. Das Tafelgeschirr, fein geriffelt und in dezentem Porzellanbeige gehalten, sowie die akkurat am richtigen Platz liegenden Löffelchen und Kuchengabeln trugen die Aufschrift eines bekannten Berliner Hotels und waren nur ausgeliehen, wie beteuert wurde.

Doch nicht um die Cremetorte, die „Mohrenköpfe“, wie es verräterisch hieß, die fein gefalteten Stoffservietten und das exquisite Tisch-Arrangement ging es, sondern um das, was diese Inszenierung im wahrsten Sinne des Wortes trug: „Den Tisch“, die Legende eines Möbels, fünffünfzig lang und einsfünfzig breit und an den Längsseiten leicht abgerundet. Der taz am hellichten Sonntag zuvor aus der Kantine geraubt, zwei Tage lang an unbekanntem Ort verborgen und nun eingeweiht.

Die Nackten, nur verhüllt mit schwarz-rot-... nein!... bunten Haßkappen, die anfangs „Den Tisch“ für die Fotografen dekorativ gerahmt hatten, mußten sich eiligst ankleiden, als die Tafel dann doch enttäuschend formlos eröffnet wurde, denn auch sie wollten noch ein Stück von dem Kuchen ergattern. Der taz, eigentlich erschienen zu einem Hintergrundgespräch („Das hat sich mit der Aktion überschnitten“), wurde zwar ein Ehrenplatz zugewiesen doch ebenso deutlich beschieden, daß die „Eigentumsfrage geklärt ist. 'Der Tisch‘ ist für Leute da, die noch Ideen haben...“ Die Antwort auf die eher schüchtern vorgetragene Frage, um welche Ideen es sich handele, verhinderte ein „zugeführtes“ Stück Torte.

Ein „runder Tisch“ habe es einmal werden sollen, war später zu erfahren, bei den vorgegebenen Maßen wohl nur durch eine symbolische Überformung zu erreichen. Aber dann habe man sich doch dafür entschieden, „Den Tisch“ einer der „Bewegung“ dienenden Funktion „zuzuführen“ und als Grundlage für strategisch-politische Diskussionen des „Besetzerrates“ zu nutzen.

Das „Große Fressen“ endete in bewegungsinternem Streit und Agonie, eingeleitet durch einen, der aus der Rolle fiel: „Ich bin dafür, diese alberne Veranstaltung jetzt zu beenden“, rief er und spritzte mit einem Wasserschlauch die ehrenwerte Gesellschaft zusammen. Proteste jener für die Gemeinschaft kräuterzigarettendrehenden Individuen, die ihre unfertigen Kunstprodukte in kleinen Wasserlachen auf dem weißen Linnen wegschwimmen sahen, wurden übertönt durch das Schreien eines erschreckten Babys und das laute Schimpfen der dazugehörenden Mutter. Und auch jene Besetzerin war sauer, die hektisch an ihrem Walkman herumwischte. Dann kehrte Stille ein, ein wenig betretene gar und schließlich saßen die Abgesandten von der taz und der 'Zeit‘ verlassen und einsam unter dem Bildnis von Erich Honecker da, vergeblich auf eine Zugabe hoffend.

Raul Gersson