Gerüchteküche

■ „Albert Richter - Radrennfahrer“, Mo., 27.8., ARD, 23 Uhr

Es gibt ein Bild in dem Film, das alles sagt: Die Kamera begleitet in Parallelfahrt einen Radrennfahrer beim Sprint, doch sie sucht nicht das konkrete Motiv, sondern den Schlagschatten auf dem Asphalt. Schattenspiele: Die weiße Fahrbahnmarkierung huscht vorbei, das rhythmische Auf und Ab der Pedale, das Rotieren der Reifen. Der Film jagt diesem Schatten nach, dem unklaren Schicksal des Radrennprofis Albert Richter, und lange, sehr lange scheint der Mann, der in den dreißiger Jahren Sportgeschichte geschrieben hat und auch im nationalsozialistischen Deutschland gefeiert wurde, immer eine Radlänge voraus - uneinholbar. Umständlich rollen Raimund Weber und Tillmann Scholl die Karriere des längst vergessenen Radsportidols auf und verlieren sich dabei in einer Chronologie, die für Freunde des Sports viel Detailreichtum bringt, jedoch den mysteriösen Tod des mehrfachen deutschen Sprintmeisters nicht aufklären kann. Die eigentliche Spurensuche beginnt während einer Siegerehrung, denn dort verweigerte Albert Richter den Hitlergruß. Kurze Zeit später, bei einer Bahnreise in die Schweiz, wird der populäre Sportler abgefangen und wegen „Devisenschmuggels“ verhaftet. Nur wenige Tage darauf ist er tot. Freitod durch Erhängen, vermerkt der Polizeibericht vom 3. Januar 1940. Eben diese offizielle Version eines Selbstmordes zweifeln die Autoren des Filmes an. Tatsächlich gibt es einige Ungereimtheiten. Die Nazis sprechen zunächst von einem Skiunfall und verbreiten die Meldung vom Selbstmord des Ratsportlers erst dann, als holländische Radsport-Kollegen berichten, wie sie die Verhaftung ihres Freundes beobachtet haben.

Widersprüche, ja, aber Beweise für eine Liquidierung Richters durch die Gestapo? Der Film bleibt den eindeutigen Beweis schuldig, sammelt lediglich Vermutungen und Spekulationen, die sich um den plötzlichen Tod des erst 27jährigen Kölners ranken. Das ist legitim und spannend, solange eine Schuldzuweisung unterbleibt. Doch dann geben die Zeitzeugen einen Hinweis auf einen Sportsfreund, der Albert Richter möglicherweise verraten haben könnte. Ein Mann, der heute noch lebt und nun als Judas herhalten muß. Unruhig wiegt der Angesprochene den Kopf hin und her, als er von der Verhaftung Albert Richters erzählen soll, dann kratzt er sich verlegen an der Backe - ein Zeichen, das sein schlechtes Gewissen verrät?

Der Film, der den Verdacht nicht erhärten kann, ihn aber mit dräuender Musik suggeriert, legt noch einen Zahn zu. Schuldig sind die, die überlebt haben und nun im Geschichtsbuch stehen, während andere vergessen sind. Diese Verkürzung ist nicht mal das Schlimmste an diesem Film. Schlimmer ist nur die Feigheit. Nicht ein einziges Mal fragen die Autoren ihren „Verdächtigen“ direkt, immer deuten sie nur an, sprechen von Gerüchten. Solche Gerüchte verraten nur zu deutlich ihren Ursprung. Sie beruhen auf Unterstellungen.

Christof Boy